In weißer Stille
über hunderttausend Euro geliehen hatte. Und doch war sein Architekturbüro den Bach hinuntergegangen. Erst hinterher war ihnen klar geworden, dass Bertram sich die Darlehen mit gefälschten Zahlen erschlichen hatte. Und als sie ihn zur Rede gestellt hatten, hatte er gegrinst und gesagt, dass er sonst das Geld von ihnen sicher nicht bekommen hätte. Das Geld, das ihm seit der Scheidung von Katja fehlte. Sie musste im Laufe der Ehe Unsummen in seinen aufwendigen Lebensstil gesteckt haben. Und was hatte sie dafür bekommen? Caroline fröstelte.
Und dann noch die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung. Die Nachzahlung samt Zinsen und einer Geldstrafe summierte sich zu einem stolzen Betrag. Ausgerechnet am Tag von Mutters Beerdigung hatte Bertram versucht, Vater anzupumpen. Der hatte ihn hinausgeworfen und einen Verbrecher genannt. So viel zur tollen Familie Heckeroth.
Herrgott! Bertram, dieser Idiot! Warum verkaufte er das verdammte Haus nicht? Dann wäre er die Schulden los. Aber Caroline wusste, dass er das nicht konnte. Über dieses Haus definierte er sich. Damit zeigte er allen, vor allem aber sich selbst, dass er es geschafft hatte. Es umgab ihn wie ein Kettenhemd. Es machte ihn unverwundbar für die Pfeile der Wirklichkeit: abgelehnte Entwürfe, gekündigte Verträge, nicht erfolgte Einladungen zu Wettbewerben, kritische Artikel, hämische Kollegen, den Konkurs seines Büros. Das Haus war Symbol seines Erfolgs, und wenn er es verlor, würde es zum Monument seines Versagens. Dabei war es, neben einer Molkerei in Niederbayern, das einzige Gebäude, das er je gebaut hatte. Wenn er das Haus verlieren würde …Caroline wusste nicht, was er dann tun würde. Doch sie zerbrach sich sinnlos den Kopf. Bertram hatte sein Problem bereits gelöst.
Plötzlich fühlte sie sich kraftlos. Sie klappte den Laptop zu und spürte diesem Gefühl nach. Die Tatsache, dass ihr Vater tot war, noch dazu ermordet, hatte sie noch nicht wirklich erreicht. Nur vier Wochen nach ihrer Mutter. Alles würde sich wiederholen: Traueranzeige entwerfen. Sarg, Blumen und Musik aussuchen. Trauerrede, Beisetzung, kondolierende Verwandte, Nachbarn, Freunde. Alldas hatte sie erst vor vier Wochen erlebt. Und mit diesem Gedanken trieb ein Schuldgefühl an die Oberfläche.
Mutter hatte geglaubt, ihr blieben noch einige Monate, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Aber dazu war es nicht mehr gekommen. Ihre Krebserkrankung hatte sich während des letzten Krankenhausaufenthalts unerwartet schnell verschlechtert. Innerhalb von nur drei Tagen war es mit ihr zu Ende gegangen. Doch in ihren letzten Stunden hatte sie Caroline ein Versprechen abgenommen. Ihr Gesicht war blass und eingefallen gewesen. Die Haut spannte wie Pergament über der Nasenwurzel und den Wangenknochen. Das Sprechen kostete sie alle Kraft. Nur mit Mühe verstand Caroline sie. »Ganz hinten in der untersten Schublade … in meinem Sekretär … ein Karton … ein Tagebuch … und Briefe … verbrenne sie … bitte … versprich mir das.« Mutter hatte nach ihrer Hand gegriffen, und Caroline hatte ihr versichert, diese Bitte zu erfüllen. Als sie jedoch am Tag nach der Beisetzung im Sekretär nachgesehen hatte, war dort nichts gewesen. Sie hatte das Versprechen, das sie ihrer Mutter auf dem Sterbebett gegeben hatte, nicht eingehalten und fühlte sich schuldig. Mutters letzte Gedanken hatten diesem Tagebuch gegolten. Sie hatte nicht gewollt, dass es Wolfram in die Hände fiel, und sicher auch nicht, dass Albert es las, falls er es bei der Auflösung von Vaters Haushalt fand.
Caroline entschloss sich, das Versprechen nun schnellstmöglich einzulösen. Sie würde die Sachen finden, und wenn sie dafür die ganze Wohnung auf den Kopf stellen musste.
Es klopfte. Tanja Wiezorek trat ein. »Die Kommissarin ist da.« Die Frau, die ihr folgte, ließ Caroline an ein Dessert denken. Dunkle Kirschaugen, karamellfarbenes Haar, ein Teint wie Milchschaum mit einer Prise Zimt.
»Gina Angelucci«, stellte sich die Polizistin vor. »Wenn das Kaffeeangebot noch gilt«, sagte sie an Tanja Wiezorek gewandt, »dann nehme ich es in Anspruch. Schwarz mit zwei Stückchen Zucker.«
»Ich bringe ihn sofort.« Tanja zog die Tür hinter sich zu. Diese Polizistin ließ sich also nicht durch eine Tasse Kaffee aufhalten. Sie machte ihren Job gründlich. Vielleicht musste Caroline Bertram gar nicht denunzieren, sondern konnte abwarten, was die Polizei herausfand.
* * *
Gina klopfte und betrat das Büro. Siebzehn
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