In weißer Stille
Künstler. Reproduzieren, das konnte er. Zu mehr reichte es nicht.
Babs strich sich die Haare aus dem Gesicht und legte den Stift beiseite. Der Rücken tat ihr weh. Für einen Augenblick beneidete sie Albert um sein Arbeitszimmer, einen hellen Raum mit Parkett und Balkon. Vor allem aber mit einem Schreibtisch und einem vernünftigen Bürostuhl.
Alberts Stimme wurde lauter, steigerte sich, bis sie sich überschlug. Babs schnappte das Wort
Arschloch
auf. Die Tür wurde geöffnet, Schritte erklangen. Dann schrie Albert: »Du hältst dich wohl für superschlau!«
Babs schob den Stuhl zurück und ging in den Flur. Bertram schlüpfte in seinen Mantel. Er fing ihren Blick auf, grinste und trat durch die Tür, die Albert aufgerissen hatte.
»Hau ab und lass dich nicht wieder blicken!« Albert knallte die Tür hinter ihm zu, dass es durchs Treppenhaus hallte wie Geschützlärm einer nahenden Schlacht.
»Was ist los? Was wollte Bertram denn?«
Albert musterte sie irritiert, als bemerke er sie gerade erst. Er atmete durch, die Schultern sanken herab. »Streit natürlich. Was sonst?«
* * *
Dühnfort betrat kurz nach sieben sein Büro, fuhr den Computer hoch, öffnete das Fenster und sah dann zwei Stunden lang Papiere durch, die eine der Bürofeen auf dem Schreibtisch abgelegt hatte. Die Verbindungsnachweise für Heckeroths Handy und Festnetzanschluss waren darunter.
Bertram hatte am Sonntag vor dem Überfall ein zwei Minuten langes Gespräch mit seinem Vater geführt. Am Tag des Überfalls, gegen achtzehn Uhr, war ein Telefonat mit Albert in der Praxis verzeichnet, sicher wegen des Siphons. Es war der letzte Anruf. In den Tagen vor dem Überfall hatten am Samstag Caroline und die Putzfrau angerufen, und am Freitag, als er an den See gefahren war, hatte Heckeroth die Nummer eines Autohauses in Herrsching gewählt. Dühnfort griff zum Telefon, tippte die Nummer ein und erfuhr von einer erkältet klingenden Frau, dass Heckeroth an diesem Tag einen Termin zur ersten Inspektion des Jeeps gehabt hatte. Mit dem Anruf hatte er sich vergewissert, dass ein Leihwagen für ihn bereitstand. »Ist das Auto noch in der Werkstatt?«, fragte Dühnfort.
»Nein. Herr Heckeroth hat es am selben Tag abgeholt.«
Dühnfort bedankte sich für die Auskunft und legte auf. Noch immer war das Fahrzeug verschwunden. Es würde ihn nicht überraschen, wenn man es demnächst irgendwo ordentlich geparkt auffand.
Es klopfte. Alois steckte den Kopf zur Tür herein. »Kommt Gina heute nicht?«
»Sie hat einen Arzttermin, es wird also etwas später. Was macht Bertrams Alibi?«
»Das steht. Seine Ex hat es bestätigt. Am 6. Oktober, abends, war er bei ihr in der Galerie. Er hat sie um ein Darlehen gebeten. Aber die Summe, die ihm vorschwebte, hat sie nicht. Er musste sich mit fünftausend Euro begnügen.«
»Auch nicht gerade ein Pappenstiel.«
»Ihren Eltern gehört
Maison Vert,
sie schwimmt also im Geld wie Dagobert Duck.«
»Was ist
Maison Vert?«
»Naturkosmetik. Schweineteuer. Kennst du die nicht?«
Dühnfort verneinte. »Ich ertrage meine Falten mit Würde. Du glaubst ihr?«
»Warum sollte sie für ihn lügen? Aus Liebe sicher nicht. Die Trennung ging von ihr aus. Er wollte die Scheidung nicht.«
»Gut, dann glauben wir das mal. Außerdem werden Morde aus Habgier anders begangen. Erste Priorität hat jetzt das Album. Wir müssen die Frauen identifizieren. Vielleicht hat Heckeroth das Leben eines der Mädchen zerstört. Solange wir nicht wissen, wie er sie dazu gebracht hat, bei diesen Aufnahmen mitzuwirken, können wir Nötigung und Vergewaltigung nicht ausschließen. Und selbst wenn er sie
nur
überredet hätte, müssen wir die Möglichkeit von psychischen Folgen in Betracht ziehen.«
Gina kam herein. »Sorry, hat etwas länger gedauert. Ich hole mir noch schnell einen Kaffee.«
Als sie wiederkam, fasste Dühnfort für sie den Standder Dinge zusammen. Sie wirkte unkonzentriert. Er gab ihr das Album. »Kannst du das dreimal kopieren?«
Sie knallte den Becher auf den Tisch. Kaffee schwappte über. »Bin ich jetzt die Copymaus?« Mit dem leinengebundenen Band unter dem Arm verließ sie das Zimmer.
Alois grinste. »Hat sie ihre Tage?«
Gina war sonst nicht so, legte Worte nicht unbedingt auf die Goldwaage und kopierte schon mal etwas. Eine Minute später kam sie wieder. »Die Bürofeen erledigen das, okay?«
Plötzlich hatte Dühnfort ein ungutes Gefühl. War die
Inspektion
nicht zufriedenstellend verlaufen? Sie fing seinen Blick auf
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