In weißer Stille
und hob abwehrend die Hände. »Entschuldige. Ich habe schlecht geschlafen. Wer übernimmt wen? Ich würde gerne Caroline Papas Sammlung unter die Nase halten. Bin mal gespannt, wie sie darauf reagiert.«
* * *
Caroline ging durch die Eingangshalle, am Pförtner vorbei. Der sah von seiner Zeitung hoch und stand auf. »Guten Morgen, Frau Dr. Heckeroth. Mein Beileid.« Sie bedankte sich im Vorübergehen.
Während sie auf den Lift wartete, betrat Claus Henning die Halle. Ausgerechnet. Aber Feigheit vor dem Feind gab es nicht. Sie drückte den Rücken durch und setzte ihr Businesslächeln auf. Henning mit seinem Rochengesicht steuerte im offenen Mantel über dem silbrig glänzenden Anzug auf sie zu. Endlich kam der Lift, sie stieg ein. Kurz bevor die Türen sich schlossen, erreichte er den Aufzug.
»Guten Morgen, Frau Heckeroth.« Das falsche Lächeln entging ihr nicht. Wenn er sie alleine antraf, vermied er es immer, ihren Titel zu erwähnen. »Darf ich Ihnen mein Beileid ausdrücken? Gestern hat sich das leider nicht ergeben.«
Obwohl sie nur Gilles Winterboom vom Tod ihres Vaters erzählt hatte, war die Nachricht im Haus herumgegangen wie das sprichwörtliche Lauffeuer. »Gerne.« Natürlich wusste sie, dass er annahm, ihr mit dieser Floskel bereits sein Beileid bekundet zu haben. Er liebte diese Art geschraubter Formulierungen, und sie hatte ihn schon mehrfach in die Fallen laufen lassen, die er selbst aufstellte.
»Bitte?«
»Sie fragten, ob Sie mir kondolieren dürfen.«
Für einen Moment verengten sich seine Augen. »Mein aufrichtiges Beileid, Frau Heckeroth. Das muss ein schwerer Schlag für Sie sein. Ein Mord in der Familie.« Er blickte in den Spiegel und zog den Krawattenknoten gerade. »Vor einiger Zeit habe ich eine Statistik gelesen, der zufolge über achtzig Prozent der Morde von Angehörigen begangen werden. Eine erschreckende Zahl, finden Sie nicht?«
Dieses Arschloch. Er hatte den Punkt schnell gefunden, an dem er ansetzen konnte. »Mein Vater wurde Opfer eines Raubmörders. Habgier und Neid haben schon manchen dazu verleitet, Grenzen zu überschreiten.« Der Lift stoppte, sie wandte sich ab und stieg vor ihm aus.
Tanja Wiezorek saß im Vorzimmer und öffnete die Post.
Caroline betrat ihr Büro und startete als Erstes den Computer, wie jeden Morgen. Sie brauchte das leise Piepen, mit dem der Rechner hochfuhr. Erst dann wurde sie zu Dr. Heckeroth, erst dann stellte sich das Gefühl ein, alles im Griff zu haben. Sie schlüpfte aus dem Mantel.Die Aktentasche, ein teures Designerteil von Valentino, landete auf dem Tisch. Marc hatte es ihr geschenkt. Er überraschte sie oft mit teuren Geschenken. Ob sich diese Investitionen für ihn je auszahlen würden? Sie machte sich keine romantischen Illusionen über die Hintergründe ihrer Beziehung. Sie waren ein schönes Paar und passten auch im Bett gut zusammen. Aber Liebe war das nicht. Marc war Bereichsleiter im Großkundengeschäft einer Bank. Und natürlich hoffte er, über sie leichter Zugang zu den Entscheidungsträgern ihres Unternehmens zu erhalten. Noch war die Firma eine kleine AG, also nicht börsennotiert. Noch war die Aktienmehrheit in Händen der Inhaber, und der Rest gehörte Familienmitgliedern. Für übernächstes Jahr war jedoch der Börsengang geplant und die Bank, die ihn begleiten sollte, noch nicht gefunden. Marc hoffte, diesen dicken Fisch an die Angel zu bekommen, und dafür brauchte er sie. Ihr deswegen einen Heiratsantrag zu machen war jedoch übertrieben. Allerdings hatte er den nicht ernst gemeint. Er war angetrunken gewesen, als sie nach einer Party morgens um drei zu Fuß zu seiner Wohnung gegangen waren und beim Friedensengel Rast gemacht hatten. Sie setzte sich neben ihn, zog die hochhackigen Schuhe aus und massierte ihre schmerzenden Zehen. Die Isar floss träg unter ihnen dahin, ab und an fuhr ein Auto durch die engen Kurven am Rondell, und im Osten kündigte ein heller Schimmer einen Spätsommertag an, als Marc sie an sich zog, ihr das Haar aus dem Gesicht strich und sagte: »Was meinst du, sollten wir heiraten?«
Sie war richtiggehend zusammengezuckt. Marc war das Lächeln verrutscht. Er hatte sich abgewandt und gelacht. »War ja nur ein Vorschlag.«
Caroline startete die Datei mit der Planung der Werbemaßnahmen für die neue Produktreihe. Henning machte den Fehler, sie zu unterschätzen. Sie war dabei, das Geschütz, das er gegen sie in Position bringen wollte, umzukehren, und er würde das erst merken, wenn der
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