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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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abgebogen, ohne auf den Radweg zu achten. Er hat sie voll erwischt, und das dumme Kind hatte den Helm nicht auf. Immer habe ich gesagt, dass sie nicht ohne Helm fahren soll …« Zwei steile Falten erschienen an ihrer Nasenwurzel. »Sie ist noch immer
bewusstlos,
wie die Ärzte sagen. Sie sind zu feige,
Koma
zu sagen. Dabei wird das Schreckliche doch nicht dadurch besser, dass man es nicht beim Namen nennt.«
    * * *
    Caroline brauchte frische Luft. Sie öffnete das Fenster. Es war schon zwei Stunden her, seit die Polizistin sich verabschiedet hatte, doch der Anblick von Vaters Trophäensammlung lag ihr noch immer im Magen. Was ihr beinahe Übelkeit verursachte, war die Tatsache, dass ihr Vater es nicht nur mit seinen Sprechstundenhilfen getrieben hatte, sondern auch mit einer ihrer Kommilitoninnen. Auf einem Bild hatte sie Sabine erkannt. Gut, dass Mutter das nicht mehr erleben musste. Wenigstens war Vater diskret genug gewesen, das Album sicher zu verwahren. In diesem Punkt war Caroline sicher: Niemand in der Familie hatte es jemals gesehen.
    Wenn nun stimmte, was die Polizei vermutete, und eine der Frauen es Vater heimgezahlt hatte … das wäre ein Fest für die Presse. Caroline sah die Schlagzeilen schon vor sich.
Doktor Sex: Perversion wurde ihm zum Verhängnis.
Oder:
Ermordeter Kinderarzt als Sexmonster entlarvt.
    Das durfte einfach nicht passieren. Caroline stöhnte und massierte sich die Schläfen. Sie versuchte klar zu denken. Pro Jahr gab es etwa ein Foto in Vaters Sammlung. Bei den beiden letzten Frauen vermutete sie, dass es sich um Prostituierte handelte. Sie hatten professionell posiert und berechnend in die Kamera geblickt.
    Diese beiden hatten sicher keine Rachegelüste. Wenn also das Mordmotiv im Album versteckt war, dann musste das auslösende Ereignis wenigstens zwei Jahre zurückliegen. Rächte sich jemand nach so langer Zeit? Eher nicht. Alibi hin oder her. Irgendwie musste Bertram Katja dazu gebracht haben, ihn zu decken.
    Sie brauchte Klarheit. Caroline griff nach Tasche und Burberryjacke und ging ins Vorzimmer zu ihrer Sekretärin. »Ich bin für eine Stunde außer Haus.«
    »Sie kommen aber zurück? Oder soll ich Ihnen die Unterlagen für den Flug nach Frankfurt gleich mitgeben?«
    Caroline versicherte Tanja Wiezorek, dass dies nicht nötig sei. Sie würde auf alle Fälle noch mal ins Büro kommen. Eigentlich hatte sie keine Lust auf diese Global-Marketing-Konferenz in Frankfurt. Zu achtzig Prozent würde sie sich dort Gelaber aus dem Munde sich wahnsinnig wichtig nehmender Alphamännchen anhören müssen. Aber sie war bereits angemeldet.
    Caroline ließ sich ein Taxi rufen. Während der Fahrt dachte sie darüber nach, wie sie das Gespräch mit Katja beginnen sollte, dieser verwöhnten Tochter reicher Eltern, die ihrem Kind ein sorgenfreies Leben finanzierten – und somit auch eine Zeitlang Bertrams Luxusleben.
    Am Wiener Platz angekommen, warf Caroline zuerst einen Blick in die Galerie. An den Wänden hingen großformatige Ölgemälde, alle tiefblau, beinahe schwarz. Mit feinen Pinselstrichen waren leuchtende Ornamente darauf gemalt, die Caroline an Meer und Himmel in der Südsee erinnerten. Sie öffnete die Tür und trat ein. Ein zartes Klingeln ertönte, Katja erschien aus dem Hinterzimmer, in dem sie ihr Büro hatte. Sie war eine kleine, dünne Person, die, wie Bertram, bevorzugt Schwarz trug. Heute einen figurbetonten Pullover, eine enganliegende Hose und Ballerinas. Die weißblonde Kurzhaarfrisur war kunstvoll verwuschelt und leuchtete zusammen mit den hellblauen Augen aus all diesem Schwarz hervor. »Caro? Wie geht es dir denn? Das mit Wolfram ist ja schrecklich.« Katja umarmte sie und hauchte ihr rechts und links ein Bussi auf die Wange.
    »Es geht schon.« Caroline knöpfte die Jacke auf.
    »Was kann ich für dich tun?«
    Gute Frage. »Ich brauche ein Geschenk und wollte mal sehen, was du hast.«
    Katja zeigte ihr die Bilder und erklärte die Technik. Die Ornamente waren nicht gemalt, sondern aus verschiedenen Farbschichten herausgekratzt. Als Caroline alle gesehen hatte, gingen sie ins Hinterzimmer, wo weitere Gemälde standen. Katjas Büro war ein großer, fensterloser Raum, der durch eine Reihe Oberlichter erhellt wurde. In der Besprechungsecke standen sich zwei weiße Ledersofas gegenüber. So weiß wie Boden, Decke und Wände. »Tee?«, fragte Katja.
    »Gerne.« Caroline zog die Burberryjacke aus und legte sie über eine Lehne.
    »Frauenpower? Balance? Seelenharmonie?«

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