In weißer Stille
derartige Gefühlsregung kaum zu.
»Kann ich mal eure Toilette benutzen?« Er stand auf.
»Natürlich.« Babs räumte Bertrams Tasse weg, während er das Gäste-WC aufsuchte. Dann begann sie, die Spülmaschine auszuräumen, bis ein Signalton aus dem Bad erklang. Die Wäsche im Trockner war fertig. Sie ging hinüber und traf im Flur Bertram, der nicht aus dem Gäste-WC kam, sondern aus Alberts Arbeitszimmer. Was hatte er dort zu suchen?
Bertram schrak wie ertappt zusammen und deutete hinter sich ins Zimmer. »Als ich von der Toilette kam, habe ich gehört, wie etwas gegen die Fensterscheibe geknallt ist. Ich dachte, es sei ein Vogel, und habe nachgesehen. Aber auf dem Balkon ist nichts. Wahrscheinlich habe ich mich getäuscht.« Er sah auf die Uhr. »Es ist wohl besser, wenn ich gehe. Du musst sicher arbeiten. Ich melde mich später bei Albert.«
Bertram nahm den Mantel von der Garderobe, zog ihn an und bedankte sich sogar noch für die Tasse Kaffee, bevor er ging.
* * *
Der Wind wehte den Regen in grauen Vorhängen durch die Ettstraße; Rinnsale liefen aus den Bäumen am Rande des Gehwegs. Dühnfort eilte auf den Eingang des Polizeipräsidiums zu, froh, ins Trockene zu gelangen. Er kam von Katja Rist. Das war kein Misstrauen Alois gegenüber, aber er wollte nichts übersehen und hatte sich nunselbst einen Eindruck verschafft. Bertrams Exfrau hatte das Alibi bestätigt. »Ich habe keinen Grund, ihn zu schützen. Da ist nichts offen zwischen uns. Weder emotional noch finanziell. Wir haben einen glatten Schnitt gemacht, und jeder geht seiner Wege.« Dennoch war ein leiser Zweifel geblieben.
Im Büro zog er den nassen Mantel aus und hängte ihn auf den Bügel, dann holte er sich einen Becher Kaffee und organisierte anschließend eine Vertretung für Gina. Er bekam Sandra Gottwald zugewiesen, eine erfahrene und tüchtige Ermittlerin.
Es klopfte und gleich darauf kam Alois herein. Ein dünner Stapel Mappen klemmte unter seinem Arm. »Ich habe die Adressen, bis auf eine. Wahrscheinlich hat Gina recht und Rebecca Engelhardt ist ein
Künstlername.
Wo ist sie eigentlich?«
»Gina? Sie hat sich eine Magen-Darm-Infektion eingefangen und wird wohl heute und morgen ausfallen.« Dühnfort log nicht gerne. Aber Gina hatte ihn gestern Abend darum gebeten. »Wahrscheinlich ist es sowieso blinder Alarm«, hatte sie gesagt. »Besser, man hängt das nicht an die große Glocke. Meine Eltern wissen auch nichts. Sie denken, ich bin auf einem Lehrgang.« Die Internetrecherche hatte eine Reihe gutartiger Blasentumore zutage gefördert, deren Symptomatik weitaus schlimmer war, als es bei Gina der Fall war. »Danke fürs Erden«, hatte sie beim Abschied gesagt.
»Ja, da geht wieder was rum.« Alois schloss die Tür hinter sich. »Ich bringe das mal auf den aktuellen Stand.« Er deutete auf die Pinnwand mit den Fotografien.
»Wir bekommen Unterstützung von Sandra Gottwald. Sie kann Heckeroths Adressbuch durchtelefonieren. Aber vorher besuchen wir diese Frauen.«
»Vorerst können wir nur sieben befragen. Martina Rucker, das Mädchen vom Bild aus dem Jahr 1975 , ist vor ein paar Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.« Alois zeigte auf eine Fotografie in der obersten Reihe.
Wenn die heutigen Befragungen keinen ermittlungsrelevanten Ansatz erbrachten, mussten sie die Identitäten der übrigen Frauen herausfinden. Wo setzte man da an? Auf den Briefen standen keine Absender, und unterschrieben waren sie mit Kosenamen. Die bisher identifizierten Frauen stammten alle aus dem direkten persönlichen oder beruflichen Umfeld Heckeroths. Falls Rache das Motiv war, konnte dann das zugrundeliegende Ereignis Jahrzehnte zurückliegen? Dühnfort konnte sich nicht vorstellen, dass jemand seine Rachegelüste so lange am Kochen hielt.
Er trat an die Pinnwand und betrachtete die Aufnahmen. Von sechsunddreißig Frauen waren vierzehn mit einem oder zwei Gürteln gefesselt. Vier der identifizierten Frauen gehörten dazu, auch Hannelore Graf, die letzte Sprechstundenhilfe, und Sabine Groß, Carolines Kommilitonin, deren Bild Gina dem Jahr 1987 zugeordnet hatte; ferner Irene Schönhofer, die Bäckersfrau, und Sandra Bleylein, eine Sprechstundenhilfe. Diese Fotografie war noch in Germering entstanden, bevor Heckeroth das Haus seines Onkels geerbt und mit Familie und Praxis an den Kurfürstenplatz gezogen war. Diese Informationen stammten von Albert.
»Wenn dieser Mord ein Racheakt war, dann wurde der alte Heckeroth nicht zufällig mit
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