In weißer Stille
zog über ihren Hals ins Gesicht. »Ist es wirklich nötig, dass ich Ihnen das erzähle?«
»Wäre es Ihnen lieber, wenn eine Beamtin die Befragung durchführen würde?«
Die Locken flogen, als sie energisch den Kopf schüttelte. »Nein. Wenn es schon sein muss, dann will ich das lieber gleich hinter mich bringen.« Sie holte Luft. »Also. Wolfram hat mich bedrängt. Er hat mir erzählt, dass es eine tolle Erfahrung sei … dass die meisten Frauen davon träumten, sich zu … unterwerfen, einem Mann die Macht über ihren Körper anzuvertrauen. Jedenfalls habe ich irgendwann nachgegeben. Aber ich fand es einfach nur widerwärtig, ekelhaft. Ich habe mich danach wie der letzte Dreck gefühlt.« Die Hände in ihrem Schoss hatten sich ineinander verschlungen, der Blick war stur auf dieRückseite des Fotos gerichtet. »Ich habe ihm das nur ein Mal gestattet. Dabei ist die Aufnahme entstanden. Kurz danach habe ich diese
Beziehung
beendet. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Wenn Sie ihm nicht nachgegeben hätten, was meinen Sie, hätte er dann getan?«
Sie blickte auf. »Vermutlich hätte er mich fallenlassen und sich eine willigere Freundin gesucht.«
»Er hat Sie also nie physisch bedrängt?«
»Er wollte, dass ich aus freiem Willen mitmache. Er war ein guter Rhetoriker. Es hat zwar einige Zeit gedauert, aber dann hatte er mich so weit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er gewalttätig geworden wäre. Die Macht der Worte, das war seines. Das lag ihm.«
»Kennen Sie andere Frauen, mit denen er ein Verhältnis hatte?« Dühnfort reichte ihr die Kopie des Albums.
Sie blätterte die Seiten durch. »So viele.« Verwundert schüttelte sie den Kopf. »Tut mir leid.«
Dühnfort dankte ihr und verabschiedete sich. Als er in seinen Wagen stieg, setzte leichter Nieselregen ein, obwohl die Wolkendecke löchrig geworden war und ein blauer Himmel durch das Grau lugte. Er griff nach der Mappe mit den Daten von Sabine Groß. Sie war unverheiratet, arbeitslos und lebte von Hartz IV. Dühnfort startete den Wagen und fuhr nach Giesing, dem ehemaligen Glasscherben- und Armeleuteviertel, das sich inzwischen gemausert hatte. Die trostlosen Nachkriegsbauten waren nach und nach saniert worden, aus dem ehemaligen Bahnhof war ein Kulturzentrum geworden. Riesige Supermärkte hatten sich Raum erobert, und dennoch behaupteten sich kleine Lädchen im Viertel.
Dühnfort hielt vor einem vierstöckigen Haus aus den sechziger Jahren mit etwa zwanzig Parteien. Die Fassadewar frisch renoviert und pastellblau gestrichen. Er klingelte und betrat das Haus nach dem Ertönen des Summers. Im Treppenhaus war es dämmrig. Handzettel einer Pizzakette lagen verstreut auf dem Boden. Gerüche nach feuchtem Hund, altem Frittierfett und käsigen Turnschuhen setzten sich in Mund und Nase. Es gab keinen Lift, also stieg er die Stufen zur vierten Etage empor. Etwas außer Atem kam er vor der Wohnungstür an, die nur angelehnt war. Er klopfte.
»Stell die Kiste einfach in den Flur.«
Dühnfort trat ein und sah sich um. Die Tür zur Küche stand offen. Eine Frau in einem blauen Jogginganzug und Turnschuhen saß vor dem offenen Fenster und rauchte. Sie hatte die Füße ans Fensterbrett gestützt und kippelte mit dem Stuhl.
»Frau Groß?«
Sie fuhr herum, der Stuhl rutschte beinahe unter ihr weg, sie fing ihn gerade noch ab, indem sie die Füße auf den Boden knallte. »Herrgott. Wer sind Sie denn?«
Dühnfort stellte sich vor. »Es geht um den alten Mann, der vor ein paar Tagen tot in seinem Wochenendhaus aufgefunden wurde. Sie haben ihn gekannt, Wolfram Eberhard Heckeroth.«
Sie stand auf, drückte die Zigarette in einem halbleeren Joghurtbecher aus und bot Dühnfort Platz am Küchentisch an. Ein angeschnittener Brotlaib lag neben einem Messer auf einem Brett. Dahinter standen eine leere Weißweinflasche, Müller Thurgau, und ein halbvolles Weinglas, in dem eine Kippe schwamm.
»Bin noch nicht zum Aufräumen gekommen.« Sabine Groß stellte das Glas ins Spülbecken, in dem sich das Geschirr stapelte. »Der alte Sack, der in seinem Wochenendhaus abgemurkst worden ist, war also der Heckeroth.«Sie setzte sich an den Tisch. »Was habe ich damit zu tun? Hab den Scheißkerl seit zwanzig Jahren nicht gesehen.«
»Sie haben mit seiner Tochter studiert. Kannten Sie ihn daher?«
Sabine Groß fischte ein Päckchen Zigaretten aus der Hosentasche, nahm eine heraus und zündete sie an. »Sie hat mich ein paarmal zu sich eingeladen, das Töchterchen aus feinem
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