In weißer Stille
schön die Kinder beschützen, damit nur nichts ihre zarten kleinen Seelen verstört. Verdammt.« Albert schlug wieder mit der Faust auf den Tisch. »Eltern streiten sich auch mal!«, rief er den Kindern hinterher, als sie die Küchentür hinter sich zuzogen.
Babs starrte Albert an. Hatte er den Whiskey nicht vertragen, oder was war los mit ihm? Sie fühlte sich verletzt und gedemütigt, aber sie wollte den Streit nicht eskalieren lassen. Deshalb atmete sie durch und versuchte, ihren Worten einen sachlichen Klang zu geben. »Ich verstehe dich nicht. Bisher waren wir uns einig, was die Erziehung der Jungs angeht.«
Alberts Augen wirkten kalt. »Waren wir nicht. Ich hab dich immer machen lassen.«
»Ach! Dann stammt wohl die Drohung, Noel aus dem Verein zu nehmen, auch von mir? Dann bin ich diejenige, die will, dass die Jungs ein Einserabitur machen und Medizin studieren? Und ich will, dass einer diese Scheißpraxis übernimmt?«
»Eine Scheißpraxis ist das also. Bisher hast du ganz gut davon gelebt. Bisher hat sie dir einen gehobenen Lebensstil gesichert. Andere Frauen müssen arbeiten.«
»Müssen?!«, schrie Babs zurück. Den Rest schluckte sie gerade noch runter. So kamen sie nicht weiter. Es würde in einem Desaster enden. Sie atmete erneut durch. »Ich möchte, dass Noel den Gameboy zurückgibt.« Erleichtert stellte sie fest, dass ihre Stimme ruhig klang. »Wenn er ihn behalten darf, wird der Sinn der Bestrafung ad absurdum geführt. Er würde ja für den Betrug mit der Lateinarbeit noch belohnt werden.«
»Betrug. Meine Güte. Eine Nummer kleiner geht es wohl nicht. Es war ein Streich. Lass sie doch ihren Spaß haben.«
»Spaß! Es war nicht richtig, was sie gemacht haben. Und das muss Konsequenzen haben. Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass meine Kinder zu ungezogenen und gedankenlosen Menschen werden, die nicht wissen, was Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft bedeuten, und die glauben, dass Regeln immer nur für andere gelten.«
Während sie sprach, verengten Alberts Augen sich. »Deine Kinder.« Er schob den Stuhl zurück und stand auf. »Deine Kinder. Stimmt, du hast sie mir angehängt, und wenn Vater nicht darauf bestanden hätte …«
Die Küchentür fiel krachend hinter ihm ins Schloss und einen Augenblick später die Wohnungstür.
* * *
Seit einer Stunde saß Caroline auf dem Sofa und starrte auf die Titelseite einer Modezeitschrift, die vor ihr auf dem Couchtisch lag. Aber sie nahm die künstliche Schönheit des abgebildeten Gesichts nicht wahr. Warum nur hatte sie sich nicht sofort bei Albert gemeldet, ohne Rücksicht auf die Uhrzeit? Oder sie hätte gleich Bertram anrufen und ihm sagen sollen, dass er sich nicht zu sorgen brauchte, dass man gemeinsam einen Weg finden werde. Sie hätte sogar Vaters letzten Willen ignoriert. Von ihr aus hätte Bertram den Teil haben können, der ihm eigentlich zustand. Ihre Augen brannten, doch sie konnte nicht weinen. Natürlich hatte er gedroht, dass er sich umbringen würde, wenn er das Haus verlor. Sie hatte das jedoch für eine dumm dahergesagte Floskel gehalten. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, seit Albert ihr am Telefon von Bertrams Selbstmord berichtet hatte. Am Telefon! Aber sie war zu niedergeschlagen, um sich über Alberts Gefühllosigkeit wirklich zu ärgern. Und jedes Mal, wenn das Gedankenkarussell wieder bei
Floskel
ankam, wurde ihr übel. Am Dienstag hatte sie noch darüber nachgedacht, was Bertram wohl tun würde, wenn er seinen Schutzschild verlor. Doch das war ein rein theoretisches Gedankenspiel gewesen, an deren Umsetzung sie keine Sekunde geglaubt hatte. Anscheinend war es Albert ähnlich ergangen, denn ernsthaft besorgt hatte er nicht geklungen. Allerdings hatte er wenigstens versucht, etwas zu unternehmen. Hätte er sie doch nur auf dem Handy angerufen. Er wusste doch, dass sie in Frankfurt war. So hatte sie sich erst am Vormittag bei Albert gemeldet und dann die schreckliche Wahrheit erfahren. Am Telefon!
Die Beisetzung ihres Vaters war an ihr vorübergerauscht. Wortfetzen, Musik, Bilder waren um sie herumgewirbelt, und dann war plötzlich alles vorüber gewesen – ihr Vater unter der Erde, Bertram irgendwo auf einem Stahltisch.
Ihr war schlecht, die Schultern waren vom Sitzen völlig verkrampft. Caroline stand auf und ging unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselte auf sie herunter, aber weinen konnte sie noch immer nicht. Etwas saß wie ein klebriger Pfropfen in ihrer Brust und versperrte einem Ausbruch von
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