Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
Vom Netzwerk:
erinnerte sie sich, was sie in Noels Schrank gefunden hatte. Für einen Moment war sie versucht, dieses Thema zu vertagen, sie fühlte sich erschöpft und ausgelaugt. Aber sie wusste, dass sie dann eine schlaflose Nacht verbringen würde. Wenn Sorgen sie bedrückten, nahmen ihre Gedanken nachts oft monströse Züge an, die erst bei Tagesanbruch wieder auf Normalmaß schrumpften. Dann gewann der gesunde Menschenverstand wieder Oberhand über ihre Ängste. Sie sah zu Noel hinüber, der an einem Hühnerbein nagte. Er fing ihren Blick auf und wich ihm aus.
    »Ich habe vorhin deine Sachen fürs Besinnungslager zusammengesucht.«
    Er hielt ihrem Blick einen Moment stand, dann wurde er rot.
    »Erstens weißt du, dass wir unsere Gründe hatten, dir eine solche Konsole nicht zu schenken, und zweitens frage ich mich, woher du sie hast.«
    Albert hörte auf, Salatblätter umzudrehen, und blickte auf. »Habe ich etwas verpasst?«
    Babs erklärte ihm, worum es ging.
    »Na und? Wo ist das Problem?«
    Noel war ebenso überrascht wie sie. Sein Mund stand tatsächlich für einen Augenblick offen. Dann schloss er ihn, und ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
    »Wo das Problem ist?« Wieder einmal klang sie wie Alberts Echo. »Er hat sich über unser Verbot hinweggesetzt, und außerdem hat er gar nicht genug Geld, um sich so ein Gerät zu kaufen.« Sie wandte sich an Noel. »Ich möchte gern wissen, woher du es hast.«
    »Von Michi. Abgekauft. Das ist ein uralter Gameboy.« Er dehnte das Wort
uralt
wie Kaugummi.
    »Für wie viel?«
    »Zwanzig Euro.« Noel blickte auf den Teller.
    »Woher hattest du so viel Geld? Und erzähl mir nicht, dass du es gespart hast.«
    »Von der Katzameier.«
    »Was? Ich glaube es nicht.«
    »Sie wollte unbedingt, dass wir es nehmen.« Noel sah zu Leon. »Stimmt doch. Sie hat es uns richtig aufgedrängt. Es wäre echt unhöflich gewesen, es abzulehnen.«
    Leon nickte. »Das stimmt, Mami.«
    »Wovon redet ihr?«, fragte Albert.
    Babs erklärte ihm widerwillig die Geschichte mit den vertauschten Rollen bei der Lateinarbeit und welche Strafe die Jungs deswegen bekommen hatten.
    Albert griff zum Messer wie zu einem Schwert. »Das war doch eine kreative Idee.«
    Babs glaubte, falsch zu hören. Sie wollte aber kein weiteres Schlachtfeld aufmachen und ignorierte die Bemerkung.
    »Hast du auch Geld genommen?«, fragte sie Leon.
    Er sah betreten drein. »Ich habe mir aber nichts dafür gekauft. Ich habe es dem alten Mann geschenkt, der immer in Mülleimern nach Pfanddosen sucht. Du hast doch gesagt, dass wir nichts annehmen dürfen, weil das ja eine Strafe sein soll, das Einkaufen und das Vorlesen. Aber die Katzameier hat nicht lockergelassen. Sie hat es uns einfach in die Jackentasche gesteckt. Wir konnten es ihr wirklich nicht zurückgeben. Dann hätten wir ihr sagenmüssen, dass es eine Strafe für uns ist, dass wir uns um sie kümmern. Und das wäre doch echt gemein.«
    Eine heiße Welle von Stolz und Zuneigung erfasste Babs. Leon war ein toller Junge.
    »Genau«, trumpfte Noel auf. »Also haben wir das Geld behalten, um sie nicht zu kränken.«
    Albert beobachtete diese Szene mit der angespannten Aufmerksamkeit eines Insektenforschers überm Mikroskop.
    »Du hast das Dilemma gut gelöst«, sagte sie zu Leon. »Daran hätte Noel sich ein Beispiel …«
    Albert schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. Babs fuhr zusammen, die Kinder ebenso. »Ist jetzt mal Schluss mit dieser Scheißinquisition? In was für einem Elfenbeinturm lebst du eigentlich!«, schrie er Babs an. »Da draußen tobt das richtige Leben, und das ist kein bisschen fair oder gerecht. Und du stellst hier einen absolutistischen Anspruch an Recht und Moral.«
    Babs brauchte einen Augenblick, bis sie ihre Sprache wiederfand. »Was soll das? Nur weil andere sich nicht um Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit scheren, heißt das doch nicht, dass die Jungs sich daran ein Beispiel nehmen sollen. Sie müssen lernen …«
    »Du darfst den Gameboy natürlich behalten«, sagte Albert zu Noel, der verängstigt diesen Streit verfolgte. »Und du bist ein echter Depp, so ein dämlicher Gutmensch«, fuhr er Leon an. »Der Alte wird sich von deinem so edelmütig gespendeten Geld nicht Brot und Butter gekauft haben, sondern Schnaps und Bier.«
    Leon zwinkerte mit den Augen, Noel sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Ihr könnt aufstehen«, sagte Babs. »Den Tisch decken wir später ab.«
    »Ja. So ist’s recht. Immer

Weitere Kostenlose Bücher