In weißer Stille
rief sich sogleich zur Ordnung. Ihre Nerven waren überreizt und sie selbst zu empfindlich. Sie lächelte ihn an. »Unser täglich Brot«, sagte sie. »Es geht nur um Kosten und Nutzen und darum, wie wir das Marketingbudget effektiver einsetzen können.«
Gilles deutete auf einen Stuhl. »Na, dann lass mal hören.«
Caroline nahm Platz und klappte den Laptop mit der Powerpointpräsentation auf, während ihr Vorgesetzter sich ebenfalls niederließ. »So wie es aussieht, wird am Montag Hennings Konzept zur Partnergewinnung beschlossen werden. Das entzieht unserem Budget beträchtliche Mittel, die wir für eine erfolgreiche Markteinführung der Herbstpralinen benötigen«, begann Caroline. Sie hatte bewusst die Formulierung
wir
gewählt, um Gilles von Anfang an im Boot zu haben. Im Laufe von nur fünf Minuten unterbreitete sie ihm die neue Planung, mit der es ihr gelang, das bestehende Budget sowohl für eine Produktkampagne als auch zur Franchisepartnergewinnung zu nutzen.
Auf Gilles’ Stirn baute sich ein Faltengebirge auf. Erlegte sein Kinn auf die aufgestützten Hände und musterte sie fragend. »Das sind beeindruckende Zahlen. Aber wie willst du unsere Agentur auf diese Preise bringen?«
»Gar nicht. Ich habe einen Rohdiamanten entdeckt. Eine kleine Agentur, die im Bereich Corporatedesign bereits reihenweise Preise eingesackt hat und …«
»Wir brauchen keine Designagentur, sondern gestandene Werber«, unterbrach Gilles sie.
»Diese Agentur erweitert gerade ihr Spektrum und hat bereits ein neues Team an Bord. Der Artdirector kommt von Sventen & Campman. Er hat Erfahrung in der Lebensmittelbranche, und es gibt bereits erste Ansätze …«
»Du hast dir eine Menge Arbeit gemacht«, unterbrach Gilles sie erneut. »Aber wir werden kein Risiko durch einen Agenturwechsel eingehen. Wir arbeiten seit Jahren erfolgreich mit
adhoc
zusammen. Man kennt uns dort, kennt den Markt und unsere Zielgruppen. Die Agentur hat bisher erstklassige Arbeit abgeliefert, und es gibt keinen Grund, sie vor die Tür zu setzen.«
»Aber dann müssen wir die Kampagne für die Herbstpralinen eindampfen, und zwar derart, dass man uns auf dem Markt nicht wahrnehmen wird.«
Gilles erhob sich. Ein Zeichen dafür, dass die Unterredung beendet war. »Mach dir keine Sorgen. Ich habe am Wochenende mit Jacques gesprochen. Er hat nicht vor, Henning bei der Vorstandssitzung zu unterstützen. Er mag Franchisenehmer nicht.
Lauter kleine Unternehmer, die uns ständig ans Bein pinkeln werden,
hat er gesagt.«
Caroline war verblüfft und verärgert. Sie hätte sich eine Menge Arbeit sparen können. Seit wann funktionierte der Buschfunk nicht mehr? Vor allem der, der aus dem Vertrieb kam? Allerdings war Gilles mit Jacques Kerity befreundet. Wenn er das sagte …
Er brachte sie, ganz Gentleman, zur Tür. Sicher war auch er erleichtert darüber, dass Hennings Pläne sich zerschlagen würden, überlegte Caroline, als sie die Treppen zu ihrem Büro hinunterstieg. Gilles wollte im Herbst in den Aufsichtsrat wechseln, und dafür benötigte er seine Erfolgsstory. Ein Agenturwechsel wäre bei dem schmalen Budget nicht zu vermeiden gewesen, hätte Henning sich durchgesetzt. Und ein Wechsel konnte zu Reibungsverlusten führen oder sich sogar als Fehlentscheidung erweisen. Solche Risiken wollte Gilles sicher nicht eingehen.
Als Caroline zurück ins Büro kam, fragte Tanja Wiezorek, ob sie Feierabend machen könne. Es war schon nach fünf Uhr. Caroline nickte, und dann fiel ihr Marcs Bemerkung ein. Sie hatte sich noch gar nicht bedankt, und möglicherweise gab es die Hintergedanken gar nicht, die Caroline ihrer Sekretärin unterstellt hatte. »Das Büchlein, das Sie mir geschenkt haben … das war ganz reizend von Ihnen.« Irgendwie stimmte der Tonfall nicht, aber sie konnte es nicht besser.
Im Gesicht von Tanja Wiezorek ging die Sonne auf. »Gefällt es Ihnen? Das freut mich. Hoffentlich hilft es auch ein wenig.«
Eine halbe Stunde später packte Caroline ihre Sachen zusammen und fuhr nach Hause. Ihre Wohnung war kühl und still und von grauem Zwielicht erfüllt. Caroline schaltete alle Lampen an, drehte die Heizung hoch und legte Christian Brandenbourgs CD in den Player. Als der erste Satz des
Frühlings
erklang, schlüpfte sie aus Mantel und Schuhen und ging in die Küche. Der Kühlschrank war beinahe leer. Ein Stück Camembert, eine angebrochene Flasche Rotwein. Aus dem Tiefkühlfach holte sie ein Baguette und schob es in die Mikrowelle. Während es
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