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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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fort. Der Bürokrat lauschte ihr nur oberflächlich und ließ die Worte in murmelnden Wellen über sich hinweggleiten, während er seinen Gegenspieler studierte. So wie Gregorian vor dem Feuer hockte, wirkte er mehr wie ein Tier denn wie ein Mensch. Die Flammen malten rote Schatten in sein Gesicht, und das kühle, grünliche Licht von der Fensterwand beleuchtete sein Haar von hinten. Bisweilen reichte das Licht bis zu seinen Zähnen und ließ sie aufleuchten. Trotzdem drang es nie bis zu seinen Augen vor.
    Jahrzehnte verstrichen. Organisationen erstarkten und verfielen, verflochten sich miteinander, teilten sich die Verantwortlichkeiten, erwarben neue Zuständigkeiten und spalteten sich von ihren Mutterorganisationen ab. Als sich der Ozean zurückzog und der Großfrühling begann, war Ararat so tief in die Systempolitik verwickelt, daß man die Geheimhaltungsstufe weder lockern noch aufheben konnte.
    »Das Dumme daran war - die Verschwendung! Eine ganze Stadt, das Werk Tausender von Menschenleben, war aufgrund einer bloßen Verfügung verlorengegangen. Und dies ist nur der sichtbare Zipfel eines unsichtbaren Imperiums der Ignoranz, das uns von fremden Mächten auferlegt wird.«
    Gregorians Stimme klang auf unheimliche Weise vertraut, auch seine Züge ließen sich als eine gröbere, unwiderstehlichere Ausgabe von Kordas Gesicht auffassen. »Das hätte auch Ihr Vater sagen können«, bemerkte der Bürokrat.
    Gregorian hob jäh den Kopf. »Ich brauche Sie hier nicht!« Er deutete auf die reglose Gestalt, die ihm auf der anderen Seite des Lagerfeuers gegenübersaß. »Die Gesellschaft von Pouffe reicht mir aus. Wenn Sie jung sterben wollen, kann ich ...«
    »Das war bloß so eine Bemerkung.«
    Der Magier lehnte sich zurück, seine Wut war ebenso rasch wieder verflogen, wie sie aufgeflammt war. »Ja, Sie haben recht. Ja. Nun, natürlich stammten sämtliche Informationen ursprünglich von Korda. Es war eins seiner Projekte. Er hat Jahre darauf verwandt, die Geheimhaltungsstufe von Ararat aufzuheben, ist gegen Windmühlen angerannt und hat gegen Phantome gekämpft. Ein mit rotem Heftpflaster zum Schweigen gebrachter alter Laocoon.« Er legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Aber was geht das Sie und mich an? Selbst schuld, wenn er sein Leben vergeudet hat. Ich vermute, Sie haben nicht daran gedacht, mein Notizbuch mitzubringen?«
    »Ich hab's in meiner Aktentasche gelassen. Im Flieger.«
    »Ach so. Es war sowieso nur von nostalgischem Wert. Wir müssen alle lernen, zu verzichten.«
    »Sagen Sie mir eines«, meinte der Bürokrat vorsichtig. Gregorian nickte mit seinem dicken Kopf. »Was hat Ihnen die Stellvertreterin der Erde gegeben - war es verbotene Technik? Oder war es gar nichts?«
    Gregorian ließ sich die Frage mit gespielter Ernsthaftigkeit durch den Kopf gehen, dann meinte er so, als handele es sich um die Pointe eines besonders guten Witzes: »Überhaupt nichts. Ich wollte Korda dazu zwingen, mir jemanden nachzuschicken. Es war ein Köder, mehr nicht.«
    »Dann kann ich ja jetzt gehen.«
    Gregorian lachte in sich hinein. Als sich das Feuer unter einer plötzlichen Bö duckte, war er nur noch eine schwarze Silhouette vor der Fensterwand. Ein eintätowierter Komet erwachte zum Leben, glitt über seinen Arm und verblaßte allmählich. Ein zweites Zeichen leuchtete auf, dann ein drittes; sie krochen unter seiner Haut entlang wie Glühwürmchen über einen vergrabenen Baumstumpf. »Bleiben Sie«, sagte er. »Wir haben noch viel zu bereden.«
    Der Magier lehnte sich erneut zurück; offenbar hatte er es nicht sonderlich eilig, zur Sache zu kommen. Die Stadt fiel hier steil ab zum blaßsilbernen und grauen Land, das sich bis zum unsichtbaren Meer am Horizont erstreckte. Es regten sich seltsame Lüfte und Düfte. Es roch nach Zimtmyrte und Isolärche.
    Das Lagerfeuer befand sich auf einer Hochterrasse, in einer bröckligen Steinnische, die Gregorian als ›Walsuhle‹ bezeichnet hatte. Wie alles in Ararat war sie stark verfallen. Aus den abgerundeten Wänden sprangen Haken vor, deren Zweck nicht mehr zu erkennen war. Zwischen den Flechten schauten die losen Enden ummantelter Kabel und Rippen von Meereswesen heraus. An manchen Stellen traten Schichten von Adamantin zutage, unversehrt und unzerstörbar. Diese nachträglichen Vorrichtungen der Systemabwehr waren seltene Fremdkörper in der verfallenen Stadt.
    Der Bürokrat lehnte sich an eine Strebe aus Karbonfasern. Wenn er sich bewegte, klirrten die Ketten, mit denen er

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