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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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unzugänglich, umgeben von stumpfen, silbrigen Wasser- und Schlammflächen. Im Westen hingegen führte ein breiter Damm von der Stadt zu einer grasbestandenen Waldlichtung. Offenbar war er ein Überbleibsel der einstigen Hauptzugangsstraße. Am Ende des Dammes standen etwa ein Dutzend verlassene Landfahrzeuge und ein Flieger. Der Bürokrat zeigte darauf. »Siehst du sie?«
    »Ja.«
    »Dann lande dort.«

    Das Kuppeldach schwenkte seufzend zurück.
    »Ich kann Sie nicht begleiten«, sagte die Aktentasche. »Solange ich eingestöpselt bin, kann ich Gregorians Eindringen verhindern. Aber die ganze Anlage ist von unfreundlichen Programmen durchsetzt. Sobald ich weg bin, müssen wir damit rechnen, daß sich der Flieger gegen uns wendet. Daß er startet und uns hier zurückläßt, wäre noch das mindeste.«
    »Ja? Ich komme auch ohne dich zurecht.« Der Bürokrat kletterte ins Freie. »Wenn ich in ein paar Stunden nicht zurück bin, kommst du nach.«
    »Habe verstanden.«
    Er betrachtete den Damm. Aus der Luft war er deutlich zu erkennen gewesen, doch vom Boden aus war er unsichtbar. Die Fahrbahn war versandet und von Unkraut überwuchert. Immerhin hatte man in der Mitte eine behelfsmäßige Straße angelegt, die Planierraupe stand wie ein rostender Wachhund am Ende des Dammes. Er wanderte von Laster zu Geländewagen und weiter zum nächsten Laster, in der Hoffnung, ein Fahrzeug zu finden, mit dem er in die Stadt fahren könnte. Die Batterien waren jedoch allesamt ausgebaut. Vom Vordersitz eines Kleinbusses nahm er ein Fernsehgerät mit, denn es wäre vielleicht ganz nützlich, das Wetter im Auge zu behalten. Hinter ihm ragte die Stadt in den Himmel. Es konnte nicht weit sein.
    Der Bürokrat drang in den Wald ein, der still und tief war. Hoffentlich begegnete er nicht einem Behemoth.
    Wo der Boden weich war, eilten ihm Fußspuren voraus. Abgesehen von den Bulldozerspuren gab es keinerlei Hinweise auf motorisierten Verkehr.
    Kurzzeitig wunderte er sich, warum man die Fahrzeuge alle auf der Wiese stehengelassen hatte. Vor seinem geistigen Auge sah er die reichen, törichten alten Bittsteller nach Ararat stolpern, um wiedergeboren zu werden, Pilger, die gezwungen waren, sich dem heiligen Berg zu Fuß zu nähern. Gekommen waren sie voller Hochmut und Hoffnung, blind vor Angst und beladen mit Reichtümern, um von einem Hexer die Unsterblichkeit einzutauschen. Er vermochte sie nicht vollständig zu verachten. Es war eine absurde Art von Mut nötig, um so weit zu kommen.
    Die Luft war kühl. Der Bürokrat fröstelte, froh darüber, daß er wenigstens eine Jacke anhatte. Außerdem war es bedrückend still. Der Bürokrat dachte gerade über die Stille nach, als draußen in der Marsch irgend etwas schrie. Er konzentrierte sich aufs Gehen, setzte einen Fuß vor den anderen und blickte starr geradeaus. Auf einmal wurde er von einem Gefühl der Einsamkeit überwältigt.
    Schließlich war er ja auch furchtbar isoliert. Nach und nach hatte er all seine Freunde, Verbündeten und Ratgeber zurückgelassen. Im Moment war sein nächster Bekannter am Piedmont zu finden. Er fühlte sich leer und einsam, und die Stadt ragte in den Himmel auf und kam nicht näher.
    Er hatte sich getäuscht. An die bequemen Entfernungen auf den schwebenden Welten und in den Orbitalstädten des Weltraums gewöhnt, hatte er nicht bedacht, wie weit ein Objekt entfernt sein und trotzdem den Himmel einnehmen konnte. Schwarz und leblos schwebte die Spitze von Ararat über ihm.
    Die fallende Dunkelheit nahm noch mehr Wärme mit sich fort. Was, überlegte er, würde er in Ararat vorfinden? Aus irgendeinem Grund glaubte er nicht mehr, daß Gregorian dort auf ihn warten würde. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen. Wahrscheinlicher war, daß er die Stadt verlassen vorfinden würde, nichts als widerhallende Straßen und leere Fenster. Am Ende seiner langen Suche würde er im Nirgendwo ankommen. Je mehr er darüber nachdachte, desto plausibler erschien es ihm. Diese Art Scherz paßte genau zu Gregorian.
    Er ging weiter.
    Seltsamerweise empfand er Zufriedenheit. Letztendlich kam es gar nicht darauf an, ob er Gregorian nun fand oder nicht. Er hatte seine Pflicht getan, und trotz aller Anstrengungen hatte Gregorian es nicht geschafft, ihn davon abzubringen. Es mochte schon sein, daß die Herren, denen er diente, käuflich waren, daß das ganze System im Grunde korrupt und vielleicht sogar dem Untergang geweiht war. Dennoch hatte er sich nicht verraten. Und die Zeit reichte

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