INAGI - Kristalladern
gleichzeitig fühlte er sich, als wäre eine schwere Last von ihm genommen worden.
Stoff raschelte direkt vor ihm. Etwas streifte leicht sein linkes Bein. Dann legten sich unvermittelt warme Hände auf seine und schlossen sich um seine Finger. Er erstarrte und riss die Augen auf. Die Sklavin hatte sich vor ihn hingekniet. Der Druck ihrer schlanken Finger war sanft, aber eindringlich. Nicht länger Herr seines Willens ließ Yaren es geschehen.
»Ihr habt Rondars Kinder nicht getötet, Deiro«, sagte sie ernst. »Was an jenem Tag in Hakkon geschehen ist, war ein schrecklicher Unfall. In der Hitze des Gefechts hätte das jedem passieren können. Rondar würde das nicht anders sehen, da bin ich mir sicher. Und auch Larika und Peron nicht. Ihr dürft Euch nicht die Schuld an ihrem Tod geben.«
Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, hob er den Kopf. Die mitternachtsblauen Augen der Inagiri erwiderten seinen Blick mit geradezu beschwörender Intensität. Jäh übermannte ihn das Gefühl, sie würden bis in die Tiefen seiner Seele hinabblicken. Sein Atem stockte. Ruckartig zog er seine Hände zurück. »Genug!« flüsterte er heiser. »Geh jetzt!«
Sie erhob sich schweigend. Ihre nackten Füße tappten über die Dielen zur Tür. An der Schwelle verharrte sie kurz, als hätte sie sich noch einmal nach ihm umgedreht, bevor die Tür leise hinter ihr ins Schloss fiel.
Kapitel XXI – Über die Palisaden
EIN GUTES Zwölft nach Kanhiros Gespräch mit Kogen ließ Bilar die Bergleute an einem wolkenverhangenen Morgen auf dem freien Platz vor der Mine antreten. Die Inagiri folgten der Aufforderung beklommen. Es kam sonst nie vor, dass der Anreshir sie außerhalb einer Lotterie zusammenrief.
»Was kann er von uns wollen?« raunte Kenjin. »Glaubst du, es ist wegen der Kristallenergie?«
Das Leuchten des Kristalls hatte im Laufe des Jahres weiter abgenommen. Es hatte tatsächlich den Anschein, als würde die Energie über kurz oder lang versiegen. Spielten die Gohari etwa bereits jetzt mit dem Gedanken, die Minen zu schließen? Kanhiro zuckte mit den Schultern in der Absicht, Ishiras Bruder sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. »Gleich werden wir es wissen.«
Der Oberaufseher forderte mit einer Handbewegung Ruhe. Die gewisperten Unterhaltungen ringsum erstarben. »Hört her, Bergleute!« Bilars kräftige Stimme erreichte mühelos auch die Inagiri in den hintersten Reihen. »Ich habe Neuigkeiten für euch. Nach vielen Schwierigkeiten ist es den Telani endlich gelungen, eine Waffe zu entwickeln, die uns künftig die Drachen vom Hals halten wird.«
In der folgenden Pause erhob sich von neuem aufgeregtes Gemurmel. Kanhiro wechselte einen Blick mit Tasuke. Er bezweifelte, dass die Neuigkeit ein Grund zur Freude war, und das nicht nur im Hinblick auf ihre Pläne. Bilar hatte ihnen das sicher nicht ohne Hintergedanken mitgeteilt. Auch die Inagiri in ihrer Nähe sahen eher skeptisch als froh aus.
»Die Waffe in großer Stückzahl zu fertigen, um sie in den Forts einzusetzen, ist, wie ihr euch denken könnt, eine kostspielige Angelegenheit«, fuhr der Anreshir fort und bestätigte damit Kanhiros Befürchtung. »Von heute an werdet ihr daher bis auf weiteres jeden Tag zwei Stunden länger in den Minen arbeiten.«
Der Ausdruck vorsichtigen Abwartens auf den Gesichtern der Umstehenden verwandelte sich in Erschrecken und Zorn. Hier und da war empörtes Raunen zu vernehmen, anderen hatte es buchstäblich die Sprache verschlagen.
»Zwei Stunden?« flüsterte Kenjin entsetzt. »Wie sollen wir das durchstehen?«
Bilar hob erneut die Hand. »Ich weiß, was euch das abverlangt«, sagte er. »Aber die neue Waffe wird auch euch schützen, also betrachtet die zusätzlichen Stunden als euren Beitrag zur Sicherung eurer Siedlung. Ich erwarte, dass ihr euch den neuen Anordnungen fügt. Das ist alles.«
Langsam löste sich die Versammlung auf. »Will der Kerl uns verhöhnen?« stieß Tasuke wütend hervor, während sich die Bergleute, in aufgeregte, teils erbitterte Diskussionen vertieft, zur Ausgabe ihrer Arbeitsgeräte anstellten. »Sind wir etwa schuld daran, dass die Amanori uns angreifen? Diese Waffe ist doch nur ein Vorwand. Ich wette, der Hemak hatte ohnehin vor, uns länger arbeiten zu lassen.«
»Ganz deiner Meinung«, stimmte Kanhiro zu. »Bestimmt muss er jetzt mehr Kristalle fördern lassen, um die nachlassende Leuchtkraft auszugleichen.«
»Glaubt ihr, die Waffe, von der Bilar gesprochen hat, ist wirklich so machtvoll, wie er
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