INAGI - Kristalladern
machte ihr Angst.
In diesem Moment wünschte Ishira sich nichts sehnlicher, als endlich wieder bei ihrem Freund zu sein, um sich zu vergewissern, dass er der Mann war, zu dem sie gehörte.
* * *
An diesem Abend hatte Kanhiro Ishiras Bruder nach der Arbeit allein vorausgeschickt und selbst den Umweg über den Friedhof genommen. In letzter Zeit besuchte er die Gräber seiner Familie häufiger, um mit dem Geist seines Vaters Zwiesprache zu halten. Er wollte ihm von dem Angriffsplan erzählen, den er gemeinsam mit Tasuke ersonnen hatte. Ihnen schwebte vor, mit den anderen Hauern einen Tag zu verabreden, an dem keiner von ihnen sein Arbeitsgerät abgab. Nachdem sie die Aufseher und Wachen überwältigt hätten, wollten sie die Kireshi im Fort angreifen. Für die Wachen auf den Türmen müsste es so aussehen, als würden die Bergleute wie jeden Tag von der Arbeit zurückkehren. Kein Gohari dürfte vorzeitig Verdacht schöpfen. Das hieß, dass kein einziger Kiresh oder Reshir vom Minengelände entkommen durfte, um die anderen zu warnen. Sie durften nicht einmal Zeit haben, den Gong zu schlagen oder auch nur zu schreien.
»Tasuke hat vorgeschlagen, dass die ersten Männer, die aus der Mine kommen, ihre Waffen wie gewohnt abgeben und zum Tor weitergehen«, erläuterte er seinem Vater, die Hand auf dem Stab, der dessen Grab markierte. »Damit erregen wir keinen Verdacht und gewinnen etwas Zeit. Fünf oder sechs von uns sollte es auch unbewaffnet gelingen, die beiden Wächter am Tor ohne Aufsehen zu überwältigen, oder was meinst du? Bevor die übrigen Gohari wissen, wie ihnen geschieht, haben unsere Leute das Tor besetzt, so dass keiner unserer Gegner mehr fliehen kann. Was hältst du davon, Koru?«
Die losen Enden der Bänder, die an der Spitze des Stabes festgeknotet waren, strichen leicht über Kanhiros Handrücken – beinahe wie eine Liebkosung. Er lächelte leicht. »Ich bin froh, dass du unseren Plan gutheißt.« Doch sein Lächeln währte nicht lange, als er an all die Steine dachte, die die Gohari ihm in den Weg gerollt hatten. »Glaubst du, dass die langen Arbeitstage es leichter machen, die Unterstützung der anderen Dorfbewohner zu gewinnen?« Oder würde die zusätzliche Zeit in der Mine ihnen das Mark aus den Knochen saugen bis keiner von ihnen mehr die Kraft hatte, sich gegen ihre Unterdrücker aufzulehnen? Wenn dann noch diese neue Waffe ins Fort gebracht wurde...
Manchmal fragte Kanhiro sich wirklich, ob ihre Götter die Seiten gewechselt hatten. Es machte ihn schier wahnsinnig, nichts tun zu können, ehe Ishira zurückkehrte. Er fuhr sich durchs Haar. Wie lange würde er noch warten müssen? Sie war schon beinahe drei Monde fort. Hätte sie nicht längst wieder da sein müssen? Ihr würde doch nichts passiert sein… Unwillig schüttelte er den Kopf. Er durfte sich nicht selbst verrückt machen.
Als er schließlich den Heimweg antrat, brach bereits die Dämmerung herein. Im Zwielicht hatte der Friedhof auf einmal etwas Unheimliches an sich. Kanhiro kroch ein leiser Schauder über den Rücken. Er hätte seinen Schritt gern beschleunigt, doch zwischen Gras und Wurzeln hatte er Mühe, den Weg zu erkennen. Als er sich dabei ertappte, wie er in die schwarzen Schatten zwischen den Bäumen spähte, als würde er erwarten, dass jeden Moment ein Geist über ihn herfiel, hätte er beinahe aufgelacht. Angsthase, verspottete er sich selbst. Und du willst eine Rebellion anführen? Dennoch war er froh, als er endlich die Straße erreichte, die in Abständen von Bambuslaternen erhellt wurde. Außer ihm schien sich niemand mehr außerhalb des Dorfes aufzuhalten, aber wen wunderte das? Gleich würden für die Nacht die Tore geschlossen werden.
Nein, er hatte sich geirrt. Kurz vor der Siedlung war noch jemand. Eine einsame Frauengestalt stieg vom Ufer hoch. Offenbar war ihrer Familie das Wasser ausgegangen, dass sie so spät noch zum Fluss hatte gehen müssen. Ihre vorgebeugte Haltung mit den leicht eingeknickten Knien verriet, dass die Eimer, die von dem Tragestock über ihren Schultern herunterhingen, bis obenhin gefüllt waren. Als sie ihn kommen hörte, sah sie auf. Erstaunt erkannte er Tasukes Schwester. Ihre Zähne blitzten auf, als sie lächelte. »Da habe ich mir wohl genau den richtigen Zeitpunkt ausgesucht«, kicherte sie. »Würdest du mir beim Tragen helfen, Kanhiro?«
Er verfluchte sein Pech, ausgerechnet auf Ozami zu treffen, noch dazu allein. »Natürlich.«
»Danke.« Sie hob das Tragegestell von
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