Incarceron
gar nicht.«
Ein Trompetensignal war vom Palast her zu vernehmen; Claudia blickte verdrossen zum Gebäude. »Na schön. Aber es gibt keinen Grund dafür, jemanden zu ermorden, ist das klar? Wenn die Menschen erfahren, dass Giles noch am Leben ist, wenn wir ihn dem Volk präsentieren, dann wird es für die Königin in keiner Weise mehr möglich sein, alles abzustreiten â¦Â«
Sie verstummte, als sie die anderen ansah. Jared spielte unfroh mit einer kleinen, weiÃen Blume herum, die er im Gras gepflückt hatte, und zerrieb den Blütenstaub zwischen den Fingern. Claudias Blick wich er geflissentlich aus. Evian aber blickte ihr offen ins Gesicht, und in seinen Augen lag fast so etwas wie Mitleid. »Claudia«, sagte er, »seid Ihr denn wirklich so naiv?« Evian trat neben sie; er war kaum gröÃer als sie und schwitzte in der warmen Sonne. »Die Menschen werden Giles nie zu sehen bekommen. Die Königin wird es nicht so weit kommen lassen. Ihr und Giles würdet gnadenlos getötet werden, so wie der alte Mann, von dem Ihr gesprochen habt. Und auch Jared würde man umbringen,
ebenso wie jeden sonst, der irgendetwas von der Sache weiÃ.«
Claudia verschränkte ihre Arme vor der Brust und merkte, wie ihr Gesicht brannte. Sie fühlte sich gedemütigt und wie ein kleines Kind behandelt, das milde getadelt worden war, was alles nur noch schlimmer machte. Denn natürlich hatte Evian recht.
»Die anderen sind es, deren Leben man ein Ende setzen muss.« Evians Stimme war leise und erbarmungslos. »Sie müssen vernichtet werden. Wir sind in dieser Sache fest entschlossen. Und wir sind bereit zu handeln.«
Claudia sah ihm fest in die Augen. »Nein.«
»Doch. Und zwar schon sehr bald.«
Jared lieà die Blume fallen und wandte sich an Evian. Er war kreidebleich. »Ihr müsst wenigstens bis nach der Hochzeit warten.«
»Die Hochzeit findet in zwei Tagen statt. Sobald sie vorbei ist, schlagen wir zu. Es ist besser, wenn keiner von Euch beiden die Einzelheiten kennt â¦Â« Er hob eine Hand, um jeden Widerspruch im Keim zu ersticken. »Bitte, Claudia, fragt mich gar nicht erst. Wenn irgendetwas schiefgeht, dann werdet Ihr verhört werden, und wenn Ihr jetzt nichts erfahrt, dann werdet Ihr auch nichts preisgeben können. Ihr werdet weder über die Zeit, noch den Ort oder die Art und Weise des Anschlags informiert sein. Ihr werdet keine Ahnung haben, wer die Stahlwölfe sind. Kein Mensch wird Euch Vorwürfe machen können.«
AuÃer ich mir selbst , dachte sie verbittert. Caspar war ein habgieriger kleiner Tyrann, der immer schlimmer werden würde. Die Königin war eine heimtückische Mörderin. Sie würden immer das Protokoll durchsetzen und sich niemals ändern. Und doch wollte Claudia nicht ihr Blut an ihren Händen haben.
Noch einmal ertönte der Ruf der Trompete, und er klang
dringlicher. »Ich muss los«, sagte Claudia. »Die Königin will auf die Jagd gehen, und ich muss dabei sein.«
Evian nickte und drehte sich um. Doch er hatte kaum zwei Schritte gemacht, da entfuhr es Claudia: »Wartet. Noch eine Sache.«
Die Seide schimmerte in der Farbe von Pfirsichen. Ein Schmetterling umflatterte neugierig seine Schultern.
»Mein Vater. Was ist mit meinem Vater?«
Ein Schwarm Tauben stieg von einem der tausend Palasttürme in den wunderschönen, blauen Himmel empor. Evian blieb stehen, ohne sich umzudrehen, und seine Stimme war so leise, dass Claudia sie kaum hören konnte. »Er ist gefährlich und steckt ganz tief in allem drin.«
»Verletzt ihn nicht.«
»Claudia â¦Â«
»Das kommt nicht in Frage.« Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Er wird nicht getötet werden. Versprecht es mir. Schwört es. Oder ich werde auf der Stelle zur Königin gehen und ihr alles berichten.«
Nun fuhr er doch herum, und er war entsetzt. »Das würdet Ihr nichtâ¦Â«
»Ihr kennt mich nicht.«
Ihr Blick war kalt und hart wie Eisen. Nur ihre Entschlossenheit würde nun noch dafür sorgen, dass ihrem Vater kein Messer ins Herz gestoÃen werden würde. Sie wusste, dass er ihr Feind war, ihr scharfsinniger Kontrahent, ihr gefühlskalter Gegenspieler auf der anderen Seite des Schachbrettes. Aber er war immer noch ihr Vater.
Evians Blick schoss zu Jared, dann atmete er lange und stoÃweise die Luft aus. »Also gut.«
»Schwört
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