Incarceron
Mann«, sagte Claudia. »Bartlett. Er hat sich um dich gekümmert.«
Finn starrte sie an. Die Leere in seinem Gedächtnis erschreckte sie beide.
»Erinnerst du dich an Königin Sia? Deine Stiefmutter? Sie muss dich gehasst haben. Und an Caspar, deinen Halbbruder? An deinen Vater, den König, der starb? Du musst dich doch an irgendetwas erinnern!«
Das wollte er nur allzu gerne. Er wollte die genannten Personen aus der Finsternis seines Geistes ziehen, aber da war nichts. Keiro stand nun neben ihm; Gildas hatte ihn am Arm gepackt, doch er hatte nur Augen für Claudia. Ihr drängender, leidenschaftlicher Blick aber ruhte auf Finn, während sie versuchte, ihn dazu zu bringen, sich an irgendetwas zu erinnern. »Wir waren einander versprochen. Dein siebenter Geburtstag wurde ganz groà gefeiert. Es gab ein riesiges Fest.«
»Lass ihn in Ruhe«, fuhr Attia sie plötzlich an. »Hör auf mit deinen Fragen.«
Claudia trat näher. Sie streckte ihre Hand aus und versuchte,
Finns Handgelenk zu berühren. »Sieh dir das an, Finn. Das konnten sie dir nicht nehmen. Es beweist, wer du bist.«
»Das beweist gar nichts!« Attia wirbelte so unvermittelt herum, dass Claudia zusammenfuhr. Das Mädchen hatte die Fäuste geballt, und ihr zerschundenes Gesicht war kalkweiÃ. »Hör auf, ihn zu quälen! Wenn du ihn wirklich liebtest, dann würdest du ihn in Ruhe lassen! Kannst du denn nicht sehen, dass es ihm wehtut und dass er sich nicht erinnern kann? Dir ist es doch ganz egal, wer er ist und ob es sich bei ihm wirklich um Giles handelt. Dir geht es nur darum, dass du diesen Caspar nicht heiraten musst.«
Entsetzte Stille herrschte; Finn atmete schwer. Keiro zog ihn zur Bank, und rasch setzte er sich, denn seine Beine drohten, unter ihm nachzugeben.
Claudia war blass geworden. Sie trat einen Schritt zurück, aber ihr Blick war unverwandt auf Attia geheftet. SchlieÃlich sagte sie: »Das stimmt nicht. Ich will nur den echten König. Den wahren Erben, selbst wenn er von den Havaarna stammt. Und ich will euch da rausholen. Und zwar euch alle.«
Jared kam näher und hockte sich hin. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Finn nickte. Sein Geist war wie vernebelt; er rieb sich mit den Händen übers Gesicht.
»Er bekommt immer wieder solche Anfälle«, erklärte Keiro. »Manchmal ist es auch noch viel schlimmer.«
»Vielleicht hat man ihm etwas verabreicht.« Die dunklen Augen des Sapienten suchten Gildasâ Blick. »Ganz sicher hat man ihm Drogen gegeben, die ihn alles haben vergessen lassen. Habt Ihr es schon mal mit einem Gegenmittel versucht, Meister, oder mit irgendeiner Therapie?«
»Unsere medizinischen Vorräte sind begrenzt«, knurrte Gildas mürrisch. »Ich behandele ihn immer mit Terpentinsatz und
einem Mohnsud. Einmal habe ich ihm auch Hasenklee gegeben, aber davon wurde ihm schlecht.«
Jared war entgeistert, versuchte aber höflicherweise, sich nichts anmerken zu lassen. Claudia konnte in seinem Gesicht lesen, dass diese Heilmittel so primitiv waren, dass die Sapienti hier sie beinahe vergessen hatten. Mit einem Mal schlug ihre Frustration in Wut um; sie wollte die Hand ausstrecken und Finn da herausziehen, und sie wollte diese unsichtbare Barriere durchbrechen. Da das aber alles nicht möglich war, zwang sie sich dazu, mit ruhiger Stimme zu sagen: »Ich habe mich entschieden, was ich tun werde. Ich werde durch das Tor zu euch kommen.«
»Und was soll uns das nützen?«, fragte Keiro und beobachtete dabei Finn.
Es war Jared, der antwortete. »Ich habe den Schlüssel eingehend untersucht. Soweit ich das sehe, verändern sich unsere Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren. Das Bild wird schärfer. Das kann daran liegen, dass Claudia und ich nun am Hofe sind. Wir sind euch näher, und es könnte sein, dass der Schlüssel das registriert. Und das wiederum könnte euch dabei helfen, ebenfalls zum Tor zu gelangen.«
»Ich dachte, es würde Karten geben«, sagte Keiro und fixierte Claudia mit seinem Blick. »Das hat jedenfalls die Prinzessin behauptet.«
Claudia seufzte ungeduldig. »Ich habe gelogen.«
Sie sah ihn an; seine blauen Augen waren eisig geworden.
Eilig fuhr Jared fort: »Aber da bleiben einige Probleme. Es gibt eigenartige ⦠Unterbrechungen und Verzögerungen, die ich mir nicht erklären kann. Der Schlüssel braucht zu
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