Incarceron
Frauen der Comitatus hatten als Expertinnen auf diesem Gebiet gegolten, und Gildas war sich nicht zu schade gewesen, bei ihnen in die Lehre zu gehen.
»Was können wir denn sonst noch tun?«
»Nichts.«
Die Tür öffnete sich ein Stück, dann prallte sie Finn von hinten gegen die Schulter. Er wirbelte herum und zückte in einer geschmeidigen, wütenden Bewegung sein Schwert. Keiro stand vor ihm und sah wie erstarrt aus.
»Was um alles in der Welt ⦠?« Mit einem einzigen Blick hatte er die Szene erfasst und fragte: »Gift?«
»Irgendetwas Ãtzendes.« Gildas sah zu, wie das Mädchen würgte und sich erneut krümmte. Dann erhob er sich langsam und resigniert. »Ich kann nichts mehr für sie tun.«
»Aber es muss doch noch etwas geben!« Finn stieà ihn beiseite. »Genauso gut hätte ich in den Apfel beiÃen können! Ich könnte jetzt an ihrer Stelle sein!« Er kniete sich neben Attia und versuchte, sie hochzuheben, um ihr Erleichterung zu verschaffen,
aber ihr schmerzerfülltes Murmeln brachte ihn wieder davon ab. Er war gleichermaÃen wütend wie hilflos. »Wir müssen irgendetwas unternehmen.«
Gildas hockte sich neben ihn. Seine harten Worte übertönten Attias Stöhnen. »Es ist eine Säure, Finn. Vielleicht ist ihr inneres System längst verätzt, ebenso wie ihre Lippen und ihre Kehle. Bald wird alles vorbei sein.«
Finn sah Keiro an.
»Wir verschwinden«, sagte sein Bruder. »Auf der Stelle. Ich habe den Ort gefunden, an dem das Schiff abgestellt ist.«
»Nicht ohne sie.«
»Sie stirbt.« Gildas zwang Finn, Attia anzuschauen. »Es bleibt nichts mehr zu tun. Wir bräuchten schon ein Wunder, und das kann ich nicht herbeizaubern.«
»Also retten wir nur uns selbst?«
»Das ist es, was sie wollen würde.«
Die anderen beiden griffen nach Finn, aber er schüttelte sie ab und kniete sich wieder neben Attia. Sie lag jetzt ganz still und schien kaum noch zu atmen. Die verblassenden Blutergüsse hoben sich deutlich von ihrer weiÃen Haut ab. Finn hatte den Tod häufig genug gesehen; er war an den Anblick Sterbender gewöhnt, aber seine ganze Seele begehrte angesichts dieses Mädchens, das mit dem Tod rang, auf. Die Scham, die er beim Verrat an der Maestra empfunden hatte, kehrte zurück, wehte wie eine Hitzewelle über ihn hinweg und drohte, ihn zu überwältigen. Er verbiss sich die Worte, die in ihm aufstiegen, und spürte, dass sich seine Augen mit Tränen füllten.
Wenn ein Wunder vonnöten war, um Attia zu retten, dann würde sie eben eines bekommen.
Er sprang auf, drehte sich zu Keiro um und griff nach seinen Händen. »Einen Ring. Gib mir noch einen von den Ringen.«
»Nun mach aber mal halblang.« Keiro riss sich los.
»Gib ihn mir!« Finns Stimme war heiser, und er hob sein Schwert. »Zwing mich nicht dazu, die Klinge zu benutzen, Keiro. Wenn du ihn mir gibst, hast du doch trotzdem noch einen Ring übrig.«
Keiro war ganz ruhig. Seine blauen Augen wandten sich kurz zu Attia, die sich gequält zusammengerollt hatte. Dann starrte er wieder Finn an. »Und du glaubst, dass das klappt?«
»Ich weià es nicht. Aber wir können es versuchen.«
»Sie ist ein Mädchen. Ein Niemand.«
»Jeder bekommt einen Ring, hast du gesagt. Ich gebe ihr meinen.«
»Du hattest deinen bereits.«
Einen Moment standen sie einander gegenüber; Gildas beobachtete sie.
Dann zerrte Keiro einen der Ringe über seine Fingergelenke, lieà ihn einen Moment noch auf seiner Handfläche ruhen, betrachtete ihn und warf ihn schlieÃlich wortlos Finn zu.
Dieser fing ihn auf, lieà sein Schwert fallen, griff hastig nach Attias Fingern und schob den Ring auf einen davon. Er war viel zu groà für sie, und so hielt er ihn fest und schickte ein stilles StoÃgebet an Sapphique oder an den Mann, dessen Leben in dem Ring gefangen war, oder an irgendjemanden sonst. Gildas hockte sich neben ihn und schien zutiefst skeptisch.
»Da passiert nichts. Was sollte denn geschehen?« Er hatte die Stirn in Falten gelegt. »Das ist alles Aberglaube. Du selbst hast dich darüber lustig gemacht.«
»Ihr Atem. Er geht langsamer.«
Gildas berührte die schmutzigen Narben an Attias Handgelenk, wo die Ketten gesessen hatten, und fühlte ihren Puls. »Finn, akzeptiere es einfach. Es gibt
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