Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Fisher
Vom Netzwerk:
erwartet hatte.
    Die Zelle hatte Steinwände, in die schon vor langer Zeit uralte Namen und Daten eingeritzt worden waren, welche von milchigem Moos und einem Flechtenteppich überzogen waren. Über ihr verlor sich das Kreuzgewölbe im Dunkel. Es gab ein Fenster, hoch oben in der Mauer, aber es schien verhängt worden zu sein. Sonst entdeckte sie nichts. Doch die Zellentür stand offen.
    Claudia holte noch einmal Luft und versuchte, nicht zu husten. Es war still in der Zelle; ein schweres, bedrückendes Schweigen, das sich kalt und beklemmend anfühlte. Eine lauschende Stille. Und in der Ecke der Zelle sah sie ein Auge. Ein kleines, rotes Auge, das sie teilnahmslos beobachtete.
    Claudia fühlte sich ansonsten ganz normal; ihre Haut kribbelte nicht, und ihr war auch nicht schlecht. Sie sah an sich selbst hinunter; ihre Hände umklammerten den Schlüssel. War sie jetzt wirklich so winzig? Oder war jede Vorstellung von Größe relativ? War dies die Normalität, und war das Reich da draußen ein Ort der Riesen?
    Sie ging zur Tür, die schon seit langer Zeit nicht mehr verschlossen gewesen sein konnte. Ketten hingen davor, aber sie waren so verrottet, dass sie kaum noch voneinander zu unterscheiden waren, die Zargen vom Rost zerfressen, und die Tür hing schief in den Angeln. Claudia duckte sich unter den Ketten hindurch und schlüpfte auf den Gang hinaus.

    Er war gepflastert und dreckig und erstreckte sich in die Dunkelheit hinein.
    Claudia sah auf den Schlüssel und schaltete den Sichtkanal ein. »Finn?«, flüsterte sie.
    Nichts geschah. Nur weit hinten im Flur surrte etwas. Es war ein tiefes Wimmern, wie eine Maschine, die angeworfen worden war. Eilig schaltete Claudia den Schlüssel wieder aus, und ihr Herz hämmerte. »Bist du das?«
    Nichts.
    Sie machte zwei Schritte, dann blieb sie stehen. Da war das Geräusch wieder, genau vor ihr: ein weicher, seltsam fragender Laut. Sie sah ein rotes Auge, das sich öffnete, langsam einen Halbkreis beschrieb, dann anhielt und wieder zu ihr zurückschwenkte. Sie blieb ganz still stehen.
    Â»Ich sehe dich«, sagte eine leise Stimme. »Und ich erkenne dich.«
    Das war nicht Finn. Und auch sonst niemand, den sie kannte.
    Â»Ich vergesse keines meiner Kinder jemals. Aber du warst schon lange nicht mehr hier. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verstehe.«
    Claudia wischte sich mit ihrer verschmutzten Hand über die Wange. »Wo bist du? Ich kann dich nicht sehen.«
    Â»Doch, das kannst du. Du stehst auf mir, du atmest mich ein.«
    Claudia wich einen Schritt zurück und starrte hinunter, aber da waren nur der Steinboden und die Finsternis.
    Das rote Auge beobachtete sie. Claudia holte tief Luft, und es wurde ihr übel dabei. »Du bist das Gefängnis.«
    Â»Ja, das bin ich.« Es klang fasziniert. »Und du bist die Tochter des Hüters.«
    Sie konnte nicht sprechen. Jared hatte gesagt, dass das Gefängnis über eine eigene Intelligenz verfügte, aber sie hatte sich nicht vorgestellt, dass es so sein würde.

    Â»Wollen wir einander helfen, Claudia Arlexa?« Die Stimme war ruhig und hatte ein leichtes Echo. »Du suchst nach Finn und seinen Freunden, ist es nicht so?«
    Â»Ja.« War es richtig, das zuzugeben?
    Â»Ich werde dich zu ihnen führen.«
    Â»Das wird der Schlüssel erledigen.«
    Â»Benutze nicht den Schlüssel. Er bringt mein System durcheinander.«
    Irrte sie sich, oder war die Aufforderung zu rasch gekommen und hatte beinahe besorgt geklungen? Sie begann, langsam den dunklen Korridor hinunterzulaufen. »Ich verstehe. Und was willst du im Gegenzug dafür haben?«
    Ein Geräusch. Es hätte ein Seufzen, aber auch ein leises Lachen gewesen sein können. »Das ist keine Frage, die mir zuvor schon einmal gestellt worden ist. Ich will, dass du mir von Außerhalb erzählst. Sapphique hat mir glaubhaft geschworen, dass er zurückkommen würde, um mir davon zu berichten, aber das hat er nie getan. Dein Vater spricht nicht darüber. Ich beginne, mich in meinem allertiefsten Herzen zu fragen, ob es ein Außerhalb überhaupt gibt oder ob Sapphique einfach nur gestorben ist. Ob du an einem Ort hier lebst, den ich nicht ausfindig machen kann. Ich habe Milliarden Augen und Sinne, und trotzdem kann ich nicht nach außerhalb schauen. Es sind nicht nur die Insassen, die von der Flucht träumen, Claudia. Aber wie sollte ich vor mir

Weitere Kostenlose Bücher