Incarceron
wiedersehen. Alles, was sie wollte, war aufspringen und ihn umarmen. Er aber ging weg von ihr zu den Bedienfeldern und blickte zu ihr. »Bist du bereit?«
Sie konnte nicht antworten, sondern nickte nur. Gerade noch eben, bevor seine Finger das Feld berührten, sagte sie schnell: »Lebe wohl, Meister.«
Er drückte den blauen, quadratischen Schalter, dann geschah es. Durch die Deckenschlitze fiel ein Käfig aus weiÃem Licht herunter, welches so gleiÃend hell war, dass es blendete. Ebenso
schnell, wie es gekommen war, verschwand es auch wieder, und alles, was Jared noch sehen konnte, war das schwarze Nachbild auf seiner Netzhaut.
Er nahm seine Hände wieder vom Gesicht.
Der Raum war leer, und er konnte einen schwachen, süÃlichen Duft riechen.
»Claudia?«, flüsterte er.
Nichts. Einige Zeit lang stand er noch in der Stille da und wartete ab. Er wollte hierbleiben, aber er musste das Arbeitszimmer verlassen. Der Hüter sollte möglichst lange nicht erfahren, was geschehen war, und wenn man ihn hier fand ⦠Eilig schob er den Kontrollschirm zurück, schlüpfte durch die groÃe Bronzetür und verschloss sie hinter sich.
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Den ganzen Weg durch die Keller hindurch schwitzte Jared vor Angst. Bestimmt hatte es irgendeinen Alarm gegeben, den er nicht entschärft hatte, irgendeinen Auslöseimpuls, den sein Scanner nicht angezeigt hatte. Bei jeder Stufe erwartete er, mit dem Hüter selbst oder der Palastwache zusammenzustoÃen, und als er endlich die Hauptflure erreicht hatte, war er bleich und zitterte so sehr, dass er sich in einen Alkoven zurückziehen und anlehnen musste. Er versuchte, tief und bewusst ein- und auszuatmen. Ein Dienstmädchen, das an ihm vorbeilief, starrte ihn neugierig an.
In der GroÃen Halle war der Lärm der Massen jetzt lauter. Jared mischte sich unter die Gäste und spürte die steigende Spannung. Eine erwartungsvolle Aufregung lag in der Luft, die beinahe an Hysterie grenzte. Die Treppe, die Claudia herabsteigen sollte, war für alle gut sichtbar und von Dienern mit gepuderten Perücken auf ihren Köpfen gesäumt. Jared schlüpfte auf einen Stuhl beim Kamin, und sobald er Platz genommen hatte, wanderte sein Blick zur Königin. Prächtig ausstaffiert sah sie aus,
ganz in Gold gekleidet und mit einem diamantenen Diadem im Haar, und sie starrte verärgert zur Treppe.
Doch schlieÃlich verspäteten sich ja alle Bräute.
Jared lehnte sich zurück und streckte seine Beine aus. Ihm war ganz schwindelig vor Angst und Müdigkeit, aber er spürte auch etwas anderes, das ihn überraschte: ein seltsames Gefühl von Frieden. Er fragte sich, wie lange es wohl anhalten würde.
Und dann entdeckte er den Hüter.
Groà und ernst war er, dieser Mann, der nicht Claudias Vater war. Jared beobachtete den Hüter, wie er lächelte, nickte und aufgeräumt mit den wartenden Höflingen plauderte. Irgendwann holte er seine Uhr heraus und warf einen kurzen Blick darauf; dann hielt er sie an sein Ohr, als ob er sich in all dem Durcheinander vergewissern müsste, dass sie ging. Stirnrunzelnd steckte er sie wieder weg.
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Langsam machte sich Ungeduld breit.
Die Menge murmelte. Caspar kam und raunte seiner Mutter ein paar Worte zu; diese zischte eine Erwiderung, woraufhin er zurück zu seinen Anhängern trottete. Jared lieà die Königin nicht aus den Augen. Ihr Haar war aufwendig hochgesteckt, und ihre Lippen leuchteten rot auf der tiefen Blässe ihres Gesichtes. Aber ihre Augen waren kalt und zu Schlitzen verengt, und Jared las den zunehmenden Argwohn darin.
Sie winkte mit gekrümmtem Finger, und der Hüter eilte an ihre Seite, sodass sie einige kurze Worte wechseln konnten. Ein Diener wurde gerufen, ein geschniegelter Mann mit silbernen Haaren, der sich verbeugte und verschwand, ohne viel Aufsehen zu erregen.
Jared rieb sich über das Gesicht.
Oben in Claudias Gemach dürfte die Panik groà sein. Vermutlich suchten die Dienstmädchen fieberhaft nach ihr, hatten
längst ihr ruiniertes Kleid gefunden und fürchteten nun um ihr eigenes Leben. Wahrscheinlich hatten sie sich längst alle aus dem Staub gemacht. Jared hoffte nur, dass Alys nicht dort geblieben war. Man würde Claudias altes Kindermädchen zur Verantwortung ziehen.
Er lehnte sich zurück gegen die Wand und versuchte, all seinen Mut zusammenzunehmen.
Lange musste er nicht warten.
Auf der Treppe
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