Incarceron
bin ich bereit, darüber zu sprechen.« Seine Stimme war rau und heiser. »Diese Hochzeit wird der Höhepunkt meines Lebens sein. Und genauso würde es deine Mutter empfinden, wenn sie noch bei uns wäre. Wir müssen an sie denken und daran, wie stolz und glücklich sie wäre.« Er sah auf, und seine Augen waren grau und stählern. »Nichts darf die Hochzeit verderben, Claudia, oder sich unserem Erfolg in den Weg stellen.«
Ihre Blicke kreuzten sich; er lächelte verhalten, wie üblich. »Nun denn, ich bin mir sicher, dass du Jareds Gesellschaft der meinen vorziehst.« Seine Worte hatten einen spitzen Unterton,
der Claudia nicht verborgen blieb. Er griff nach seinem Stock und hämmerte damit von unten gegen das Dach ihres Gefährts. DrauÃen war das leise Kommando des Kutschers zu hören, der die Pferde zu einem stampfenden, schnaubenden, unruhigen Halt zwang. Als die Räder endlich stillstanden, beugte sich der Hüter vor, öffnete die Tür, kletterte hinaus und streckte sich. »Was für eine wunderbare Aussicht! Sieh doch nur, meine Liebe.«
Claudia stieg zu ihm hinaus.
Unter ihnen floss träge ein breiter Fluss vorbei, der im Sommersonnenschein funkelte. Er wand sich durch üppiges Farmland, die Felder leuchteten golden von der heranreifenden Gerste, und Claudia sah die Schmetterlinge, die in Wolken aus der mit Blumen übersäten Wiese neben der StraÃe aufstiegen. Die Sonne brannte heià auf ihren Armen. Dankbar hob Claudia ihr Gesicht, schloss die Augen und nahm nur noch eine rote Hitze wahr, während sie die Erde und den stechenden Geruch von zerdrückter Schafgarbe irgendwo in der Hecke roch.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, stand ihr Vater nicht mehr neben ihr; er war auf dem Weg zurück zu den nachfolgenden Kutschen, winkte mit seinem Stock und plauderte heiter mit Lord Evian, der ausgestiegen war und sich den Schweià aus dem roten Gesicht wischte.
Vor ihr erstreckte sich das Königreich bis zur flirrenden Hitze des Horizonts, und Claudia wünschte sich, sie könnte in die Stille hinausrennen und Zuflucht finden im Frieden des unbewohnten Landes. Sie wollte sich irgendwo verstecken, wo es niemanden auÃer ihr gäbe. Irgendwo, wo sie frei wäre.
Â
Sie spürte eine Bewegung an ihrem Ellbogen. Lord Evian stand dort und nahm einen Schluck aus einer kleinen Weinflasche. »Wunderschön«, murmelte er. Er deutete mit seinem dicken Finger auf etwas. »Seht Ihr das?«
Meilen vor ihnen, weit entfernt in den Hügeln, sah Claudia etwas schimmern. Es war ein funkelndes, diamantweiÃes Licht, das, wie sie wusste, vom gläsernen Dach des groÃen Palastes reflektiert wurde.
Â
Keiro vertilgte die letzten Reste des Fleisches und lehnte sich gesättigt zurück. Er trank sein Bier aus und sah sich dann nach jemandem um, der seinen Humpen auffüllen würde.
Attia saà noch immer in der Nähe der Tür. Er ignorierte sie. Die Taverne war gut gefüllt; Keiro musste zwei Mal rufen, bis jemand auf ihn aufmerksam wurde. Endlich kam die Schankfrau mit einem Krug, und während sie nachgoss, fragte sie: »Was ist mit deiner Freundin? Isst sie denn nichts?«
»Sie ist nicht meine Freundin.«
»Sie ist hinter dir hereingekommen.«
Keiro zuckte mit den Schultern. »Ich kann nichts dagegen machen, dass mir die Mädchen nachlaufen. Ich meine: Sieh mich doch an.«
Die Frau lachte und schüttelte den Kopf. »Schon gut, mein Schöner, aber die Zeche kann ich dir trotzdem nicht erlassen.«
Keiro zählte ihr einige Münzen auf den Tisch, trank sein Bier aus, stand auf und streckte sich. Er fühlte sich gestärkt, nachdem er seine Kehle durchgespült hatte, und das flammend rote Wams hatte ihm schon immer besonders gut gestanden. Als er zwischen den Tischen hindurch zur Tür ging, ignorierte er Attia, die aufsprang, um ihm zu folgen. Er war schon halb die schummrige Gasse hinuntergelaufen, ehe ihre Stimme ihn zum Anhalten brachte.
»Wann beginnen wir mit unserer Suche?«
Er drehte sich nicht um.
»Gott weiÃ, was mit ihnen geschehen ist. Du hast versprochen â¦Â«
Keiro wirbelte herum: »Warum verziehst du dich nicht einfach?«
Attia starrte ihn unverwandt an. Er hatte das Mädchen die ganze Zeit für ein furchtsames, kleines Ding gehalten, aber dies war schon das zweite Mal, dass sie ihn zur Rede stellte, und langsam wurde das
Weitere Kostenlose Bücher