Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Fisher
Vom Netzwerk:
übereinandergelegt, und als sie bemerkte, wie verkrampft sie waren, zwang sie sich dazu, sie wieder zu lösen.
    Â»Nach einer kurzen Zeit des Umwerbens heirateten wir bei Hofe. Es war eine stille Vermählung, nicht mit der zu vergleichen, die du haben wirst. Doch es gab ein bescheidenes Bankett am Abend, und Helena saß am Kopfende meines Tisches und lachte viel. Sie sah dir sehr ähnlich, Claudia, auch wenn sie ein bisschen kleiner war. Ihr Haar war blond und weich. Sie trug immer ein schwarzes Samtband um den Hals, mit einem Porträt von uns beiden darin.«
    Gedankenverloren strich er sich über ein Knie.
    Â»Als sie mir sagte, sie sei schwanger, war ich unbeschreiblich glücklich. Vielleicht hatte ich geglaubt, dass die Zeit dafür bereits vorbei sei und dass ich niemals einen Erben haben würde. Dass die Sorge für Incarceron aus den Händen der Familie genommen und dass die Linie der Arlexi mit mir aussterben würde. Auf jeden Fall habe ich mich von diesem Moment an noch mehr um deine Mutter gekümmert. Sie war stark, aber die Einschränkungen durch das Protokoll galten auch für uns.« Er schaute auf. »Wir hatten nur wenig Zeit miteinander.«
    Claudia hielt die Luft an und sagte dann tonlos: »Sie starb.«
    Â»Als das Kind zur Welt kam.« Er wandte seinen Blick ab und
schaute aus dem Fenster. Schatten von den Blättern huschten über sein Gesicht. »Wir hatten eine Hebamme und haben einen der bekanntesten Sapienti zurate gezogen, aber es war nichts mehr zu machen.«
    Claudia fiel nichts ein, was sie hätte sagen können. Nichts hatte sie auf so etwas vorbereitet. Ihr Vater hatte noch nie zuvor in dieser Weise mit ihr gesprochen. Ihre Finger waren nun wieder gefaltet, als sie fragte: »Dann habe ich sie also nie gesehen?«
    Â»Nein, nie.« Seine dunklen Augen ruhten auf ihr. »Und danach konnte ich es nicht mehr ertragen, ihr Bild zu betrachten. Es gab ein Porträt, aber ich habe es wegschließen lassen. Nur hiervon habe ich mich nicht trennen können.«
    Er zog ein kleines, goldenes Medaillon unter seinem Hemd hervor, streifte das schwarze Samtband über seinen Kopf und streckte es Claudia entgegen. Einen Moment lang hatte sie beinahe Angst, es entgegenzunehmen, doch als sie ihren Widerstand überwunden hatte, bemerkte sie, dass das Schmuckstück immer noch warm vom Körper ihres Vaters war.
    Â»Mach es auf«, drängte er.
    Claudia öffnete den Verschluss. Im Inneren, in zwei ovalen Rahmen, die Gesichter einander zugewandt, befanden sich zwei winzige Porträts, die meisterhaft gemalt waren. Rechts erkannte Claudia ihren Vater, der ernst und viel jünger als jetzt aussah. Seine Haare hatten einen satten Braunton. Gegenüber, in einem tief ausgeschnittenen Kleid in scharlachroter Seide, war eine Frau mit einem süßen, zarten Gesicht zu sehen, die lächelte und eine winzige Blume vor ihren Mund hielt.
    Ihre Mutter .
    Claudias Finger bebten; als sie ihren Blick hob, um zu sehen, ob ihr Vater es bemerkte, stellte sie fest, dass er sie beobachtete. Ernst sagte er: »Ich werde bei Hof eine Kopie für dich anfertigen lassen. Meister Alan, der Maler, ist ein geschickter Künstler.«

    Sie wünschte sich, ihr Vater möge zusammenbrechen und laut weinen. Sie wollte, dass er wütend werden oder dass die Trauer ihn überwältigen würde, irgendetwas, auf das sie hätte reagieren können. Aber da war nur diese gesetzte Ruhe.
    Sie wusste, dass er diese Runde in ihrem Spiel gewonnen hatte. Schweigend gab sie ihm das Medaillon zurück.
    Der Hüter ließ es in seine Tasche gleiten.
    Eine Zeit lang sprach keiner von ihnen. Die Kutsche rumpelte die Straße entlang und passierte ein Dorf mit heruntergekommenen, kleinen Häusern und einem Teich, aus dem sich Gänse erhoben und voller Angst mit ihren weißen Flügeln davonflatterten. Dann stieg der Weg an und führte sie hinauf in die grünen Schatten des Waldes.
    Claudia war heiß, und sie fühlte sich beschämt. Eine Wespe surrte durch das offene Fenster herein; sie wedelte sie wieder hinaus und wischte sich Hände und Gesicht mit einem kleinen Taschentuch ab. Der braune Staub der Straße hob sich in dunklen Flecken vom weißen Leinen ab.
    Endlich fand Claudia Worte: »Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast. Doch warum jetzt?«
    Â»Ich bin kein Mann, der sein Herz auf der Zunge trägt, Claudia. Erst jetzt

Weitere Kostenlose Bücher