Incognita
Er beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
In seiner Smoking-Tasche fand er die Visitenkarte, die Gordon ihm in die Hand gedrückt hatte. Gestern hatte John ihr keine große Beachtung geschenkt, jetzt betrachtete er sie erstmals genauer. Die Adresse kam ihm völlig unbekannt vor. Er ging zum Telefon und wählte die Nummer.
Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Frauenstimme. »Ja, bitte?« Kein Name, keine Firmenbezeichnung. Unhöflich. Oder seltsam. Oder beides.
»Mein Name ist McNeill. John McNeill. Ich möchte bitte mit Mister Cox sprechen.«
»Einen Augenblick, ich verbinde.«
Es knackte in der Leitung. Kurz darauf meldete sich Gordon. »John – was für eine Überraschung! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du dich wirklich bei mir meldest. Jedenfalls nicht so schnell.«
»Tut mir leid, wenn ich gestern abweisend war«, sagte John. »Aber ich habe mir dein Angebot noch mal überlegt.«
»Fabelhaft! Du wirst es nicht bereuen!«
»Ich habe noch nicht versprochen, dass ich dir Geld gebe. Mach dir also keine übertriebenen Hoffnungen. Aber ich würde mir dein Projekt gerne mal anschauen. Danach sehen wir weiter.«
»Natürlich. Niemand will die Katze im Sack kaufen. Ich freue mich, dass ich wenigstens deine Neugier wecken konnte. Wann passt es dir?«
»Wie wäre es noch heute?«
»Ausgezeichnet. Wir haben für den Nachmittag ohnehin einen Versuch geplant. Wenn du willst, kannst du daran teilnehmen. Dann bekommst du gleich mit, wie wir hier arbeiten. Ich verspreche dir, das wird dir gefallen. Sagen wir um vierzehn Uhr?«
»Einverstanden. Dann bis später.«
John beendete das Gespräch. Er fragte sich, was Gordon damit meinte – dass sie einen Versuch geplant hatten. Er war gespannt darauf, aber eines wusste er genau: Er selbst würde sich nicht aktiv daran beteiligen, sondern lediglich dabei zusehen.
John nahm ein Taxi. Pünktlich um zwei Uhr nachmittags erreichte er die auf der Visitenkarte angegebene Adresse in Spitalfields. Eigenartigerweise handelte es sich um ein scheinbar gewöhnliches Reiheneckhaus in einer gutbürgerlichen Wohngegend. John hatte eher ein Büro- oder Industriegebäude erwartet. Er fragte sich, ob Gordon seine Experimente heimlich im Keller durchführte.
Er passierte das schmiedeeiserne Gartentor, ging die wenigen Schritte durch den kleinen Vorgarten und klingelte an der Tür. Eine junge Frau in schwarzem Rock und weißer Bluse öffnete ihm und ließ ihn herein. Sie stellte sich als Lorraine vor – kein Nachname –, führte ihn in ein kleines Zimmer und sagte ihm, er solle hier warten. Minuten verstrichen.
Endlich kehrte Lorraine zurück. »Der Fahrer ist soeben angekommen«, sagte sie. »Er wird Sie zu Mister Cox bringen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
»Heißt das, ich werde Mister Cox gar nicht hier treffen?«
»Nein, Sir.«
»Wo dann?«
Lorraine lächelte schüchtern. »Tut mir leid, Sir, das weiß ich nicht«, sagte sie. »Aber ich bin sicher, Dwight kann Ihnen weiterhelfen.«
Sie führte John durch den Flur zu einer Tür, die unmittelbar in die Garage mündete. Dort parkte eine geräumige Limousine, ein 7er BMW. Daneben stand ein muskulöser Schwarzer in T-Shirt und Jeans, im Mundwinkel eine glimmende Zigarette.
Lorraine schloss die Tür von außen und ließ die beiden Männer allein.
»Sind Sie Dwight?«, fragte John.
Der Schwarze nickte stumm. Dabei musterte er John, als zöge er in Erwägung, ihn auszurauben.
»Sie werden mich zu Gordon Cox bringen?«
Wieder nickte der Schwarze. »Vorausgesetzt, Sie legen keinen allzu großen Wert auf Komfort.« Er schob seinen massigen Körper an John vorbei, blieb hinter dem Wagen stehen und öffnete den Kofferraum.
John begriff, und er begann sich zu fragen, ob es eine gute Idee gewesen war, hierherzukommen. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mich dort hineinlegen werde!«
»Mister Cox will den Standort seines Labors geheim halten«, erklärte Dwight. »Angst vor Industriespionage, verstehen Sie? Ich versichere Ihnen, Sie sind nicht der Erste, der auf diesem Weg ins Labor befördert wird.«
»Wie wäre es, wenn Sie mir einfach die Augen verbinden?«
»Keine Chance, Sir. Strikte Anweisung vom Chef.«
John schüttelte fassungslos den Kopf. Was bildet Gordon sich eigentlich ein?, fragte er sich. Er will, dass ich fünfzehn Millionen Pfund bei ihm investiere und lässt mich in einem Kofferraum zu seinem Labor bringen! Wie macht er das mit den Ljuganows? Müssen die sich zu zweit dort
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