Incognita
John auf. Über diverse, ungleichmäßig über den Teppich verteilte Kleidungsstücke hinweg bahnte er sich seinen Weg ins Bad, wo er seinen Morgenmantel überstreifte. Er fühlte sich verspannt und verkatert, obwohl er am Vorabend kaum etwas getrunken hatte. Die Couch war offenbar nicht ganz so erholsam wie das Bett. Andererseits – was waren schon ein paar verspannte Muskeln im Vergleich zu der Liebesnacht mit Laura?
Es klingelte erneut.
»Ich komm ja schon«, murmelte John und ging ohne übertriebene Eile zur Tür.
Draußen stand Gordon Cox. Er trug ein grellgelbes Polohemd, eine khakifarbene Stoffhose und dazu passende Slipper aus Wildleder. An seinem Handgelenk prangte eine Uhr, die so klobig war, als wolle er damit irgendetwas beweisen. Oder kompensieren. John verkniff sich einen Kommentar. Vielleicht war es tatsächlich an der Zeit, das Kriegsbeil zu begraben.
»Guten Morgen«, sagte John.
»Guten Morgen? Es ist schon nach elf. Manche Leute arbeiten bereits seit Stunden.«
»Sprichst du etwa von dir?«
»Natürlich nicht.« Gordon grinste. »Kann ich reinkommen?«
»Laura schläft noch.«
»Stört mich nicht.«
»Sie schläft auf der Wohnzimmercouch. Nackt.«
»Stört mich auch nicht.«
Trotz aller guten Vorsätze war es offenbar an der Zeit, Gordons Vorwitzigkeit einen Riegel vorzuschieben. »Ich glaube nicht, dass ich bei dir investiere, wenn ich mir deine schlüpfrigen Sprüche anhören muss«, sagte er.
Gordon grinste noch immer – nach Johns Empfinden erstaunlich arrogant für einen Mann in Bittstellerposition. »Ich bekomme dein Geld«, sagte er. »Da bin ich mir absolut sicher.« Sein Arm mit der klobigen Uhr verschwand hinter seinem Rücken. Obwohl er die Bewegung beiläufig ausführte, wirkte sie auf John aus irgendeinem Grund bedrohlich, insbesondere in Zusammenhang mit diesem unerschütterlichen Grinsen. John spürte, wie es ihm heiß und kalt über den Rücken lief. Er hatte das Bedürfnis, die Tür zuzuschlagen oder wegzurennen. Sich in Sicherheit zu bringen. Gleichzeitig mahnte ihn seine Vernunft, sich nicht lächerlich zu machen.
Gordon will mit mir ein Geschäft besprechen, dachte er. Nur deshalb ist er gekommen. Er hat gestern Abend einen Köder ausgeworfen und will jetzt wissen, ob ich angebissen habe.
John wusste selbst nicht, weshalb er so panisch reagierte.
»Hey, Schatz, was ist los mit dir?«, fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm. »Du zitterst ja!«
John drehte sich zu Laura um. Sie war noch immer nur mit ihren Seidenstrümpfen bekleidet, was sie jedoch nicht zu stören schien.
»Zieh dir etwas an!«, fuhr John sie an. Er konnte regelrecht spüren, wie Gordon Lauras nackten Körper begaffte.
»Aber warum denn, Schatz?«, gab Laura zurück. Ihre Stimme klang jetzt eigenartig kalt. »Es ist nicht das erste Mal, dass Gordon mich so sieht. Außerdem werde ich ohnehin gleich mit ihm schlafen. Gordon – tu es! Worauf wartest du noch?«
Ihr Blick wanderte über Johns Schulter. Ihre Augen wirkten auf einmal wie die eines Raubtiers. »Tu es, Gordon! Stech ihn ab, das verfluchte Schwein!«
John begriff viel zu langsam. Noch während er sich fragte, was all das zu bedeuten hatte, spürte er plötzlich einen Schmerz im Rücken, der ihn zusammenfahren ließ. Er stöhnte auf, fuhr herum und sah Gordon vor sich, dessen Hände ein riesiges Messer umklammerten. Nein, kein Messer, vielmehr ein Metzgerbeil, die Klinge blutverschmiert. Gordon hob die Waffe über den Kopf, ließ sie dort eine endlose Sekunde verweilen und schlug dann zum zweiten Mal zu. John riss schützend die Hände nach oben. Gleich darauf hörte er Knochen splittern, und ein Blutschwall spritzte ihm ins Gesicht, als die Klinge sich in seinen rechten Unterarm schnitt. John begann zu schreien, so laut wie nie zuvor in seinem Leben …
… Er schreckte zusammen und schlug die Augen auf. Einen Moment lang wusste er nicht, was geschehen war. Laura lag neben ihm auf der Couch, ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Er selbst spürte sein Herz jedoch wie einen Hammer in seiner Brust schlagen. Unendliche Erleichterung überkam ihn, als er feststellte, dass er unversehrt war. Er hatte nur geträumt.
John strich sich mit der Hand übers Gesicht. Obwohl es im Zimmer angenehm warm war, fühlte sich seine Stirn feucht und kalt an. Er atmete tief durch. Es summte wie in seinem Traum.
Irgendjemand hat also tatsächlich an der Tür geklingelt, dachte John. Deshalb bin ich aufgewacht.
Er stand auf, streifte sich im
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