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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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hineinzwängen?
    Aus irgendeinem Grund erinnerte er sich plötzlich an seinen Albtraum von heute Morgen. Vielleicht wollte Gordon gar nicht sein Geld, sondern sein Leben? Vielleicht hatte er Dwight angewiesen, den Wagen auf irgendeinem Bahngleis abzustellen, ihn in der Themse zu versenken oder ihn mit Benzin zu übergießen und in Brand zu stecken? Der offene Kofferraum wirkte auf ihn plötzlich wie ein riesiges aufgerissenes Maul.
    Dann gewann wieder die Vernunft Oberhand. Aus welchem Grund sollte Gordon mich umbringen wollen?, dachte John. Gewiss gab es zwischen uns Meinungsverschiedenheiten, aber das ist Jahre her. Außerdem hat er sich an meine Frau herangemacht und nicht umgekehrt. Wenn also jemand Rachegefühle haben darf, dann bin ich das – nicht er.
    Missmutig kletterte John in den Kofferraum, wo er sich wie ein Embryo zusammenkauern musste.
    »Die Fahrt dauert nicht lange«, sagte Dwight. »Schließen Sie die Augen, und versuchen Sie, sich zu entspannen.«
    Der Kofferraumdeckel klappte zu, und John wurde von Finsternis umfangen. Er fragte sich, wie es nun weitergehen würde, und musste zugeben, dass er sich trotz aller Selbstberuhigungsversuche unbehaglich fühlte. Er hatte sich Gordon freiwillig ausgeliefert. Es gab nichts, was er jetzt noch tun konnte, außer abzuwarten und zu hoffen, dass dieser Kofferraumdeckel sich irgendwann wieder öffnen würde.
    Er kam sich vor wie lebendig begraben.

Kapitel 5
    In seinem unbequemen Gefängnis wurde es rasch warm und stickig. Schon bald fiel John das Atmen schwer. Außerdem wurde er durch das ständige Anfahren und Abbremsen und die vielen unvorhersehbaren Kurven so kräftig durchgeschüttelt, dass sein Magen zu rebellieren drohte. Hatte er anfangs noch versucht, den Straßenverlauf im Geist nachzuvollziehen, um zumindest ungefähr zu erahnen, wo Gordons Labor lag, musste er sich jetzt voll darauf konzentrieren, seine Übelkeit niederzukämpfen.
    Er aktivierte die Beleuchtung seiner Armbanduhr. Er war erst seit neun Minuten in diesem Kofferraum eingesperrt, aber es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Das matte Licht machte ihm erst richtig klar, wie klaustrophobisch eng es in seinem Gefängnis war. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, sein Hals fühlte sich staubtrocken an. Der Drang, sich endlich wieder frei bewegen zu können, Arme und Beine auszustrecken und den Körper zu dehnen, wurde übermächtig. Er musste sich zusammenreißen, um nicht mit Fäusten gegen den Kofferraumdeckel zu hämmern und laut um Hilfe zu rufen.
    Halte durch!, befahl er sich. Du wolltest unbedingt wissen, was Gordon so treibt. Jetzt musst du auch die Konsequenzen tragen! Er nahm ein paar tiefe Atemzüge, und es gelang ihm, sich ein wenig zu entspannen. Er hoffte nur, dass Gordons Projekt diesen Höllentrip rechtfertigte.
    Nach etwa einer halben Stunde Fahrzeit spürte John, wie der BMW sanft nach vorne kippte und in einer engen Schleife bergab fuhr. Gleich darauf erstarb das gedämpfte Geräusch des Straßenverkehrs, das ihn die ganze Fahrt über begleitet hatte. John kam sich plötzlich eigenartig isoliert vor.
    Dann blieb der Wagen stehen, und der Motor wurde abgestellt. Als der Kofferraumdeckel sich öffnete, grinste Dwights schwarzes Gesicht ihn fröhlich an.
    »Wir sind da«, sagte er. »Haben Sie die Fahrt gut überstanden?«
    »Natürlich. Bestens«, log John und ließ sich von Dwight aus dem Wagen helfen. Er dehnte sich und ging ein paar Schritte. Es tat gut, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren, auch wenn er sich noch ein wenig unbehaglich und steif vorkam.
    Er befand sich in einer geräumigen Tiefgarage. Es gab keine Fenster, der Raum wurde allein durch eine Reihe von Neonröhren erhellt, deren bläulich schimmerndes Licht kalt und steril wirkte.
    »Hier entlang«, sagte Dwight und führte John zu einem Aufzug, der sie ein Stockwerk weiter ins Erdinnere beförderte. Unten tat sich vor ihnen ein schmaler, weiß gestrichener Gang auf. Wieder strahlte von den Decken bläuliches Neonlicht herab. John stieg der scharfe Geruch von Desinfektionsmitteln in die Nase.
    Der Korridor zweigte nach links ab. Nach einigen Metern erreichten sie eine Stahltür. Dwight betätigte einen Summer, danach konnten sie passieren.
    Drinnen erwartete John eine komplett andere Welt – eine Mischung aus Rechenzentrum und medizinischem Labor, wie es schien. Links, entlang der Wand, standen Stahlschränke, durch deren durchsichtige Plexiglastüren er eine ganze Batterie hochmoderner Computer

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