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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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gewaltige Preise garantierte und damit gewaltige Gewinne. La Canela war daher ein durchaus lohnenswertes Ziel. Dass bereits Jahre zuvor drei deutsche Agenten des Bankhauses Welser in Diensten Kaiser Karls V. die Suche nach Zimt erfolglos hatten abbrechen müssen, konnte die Spanier nicht entmutigen.
    Wieder hörte John einen unterdrückten Schrei, diesmal ohne den geringsten Zweifel, und zwar aus unmittelbarer Nähe, also aus einem der Zelte. Der Schrei verstummte abrupt. Stattdessen waren jetzt Geräusche zu hören, als würden zwei Raufbolde sich auf dem Boden wälzen.
    John überlegte, ob er der Sache nachgehen solle, rief sich aber noch einmal ins Bewusstsein, dass er sich auf die Rolle des neutralen Beobachters beschränken musste, um den Verlauf der Geschichte nicht zu beeinflussen. Außerdem wollte er nicht in irgendeinen Streit hineingeraten. Dass er in seinem fremden Körper nicht nur Kälte, sondern auch Schmerzen empfinden konnte, wusste er durch die Fußtritte von Cristóbal Loco Teixeiro. Die Rippen taten ihm noch immer weh.
    Um jede Gefahr zu vermeiden, ging John rasch ein paar Schritte weiter. Dennoch ließ ihn die Neugier immer wieder zurückblicken. Eine ganze Weile geschah nichts. Dann sah er an der Stelle, wo er den Schrei vernommen hatte, einen spanischen Soldaten aus einem Zelt treten, einen muskulösen Riesen. Er hatte John den Rücken gekehrt und schlenderte nun gemächlich und leichten Fußes durch die Zeltreihen in Richtung der Viehpferche. Er machte einen äußerst ausgelassenen, entspannten, ja geradezu fröhlichen Eindruck.
    Kurz darauf trat eine weitere Person aus dem Zelt, eine Indio-Frau, höchstens zwanzig Jahre alt. Sie war so schön, dass es John beinahe den Atem verschlug. Ihr glänzendes, schwarz-blaues Haar fiel wie ein seidener Vorhang über ihre Schultern. Obwohl sie einen Poncho und darunter ein langes Winterkleid trug, war ihre grazile Gestalt unverkennbar. Ihre mandelförmigen Augen verströmten Würde und Stolz und hätten ebensogut einem Engel gehören können.
    Doch auf den zweiten Blick erkannte John, dass mit dieser Frau etwas nicht stimmte. Über ihrem rechten Auge prangte eine blutverkrustete Platzwunde, außerdem verunstalteten die geschwollenen Wangenknochen ihr Engelsgesicht. Und als sie sich wegdrehte, um irgendwo zwischen den Zeltreihen zu verschwinden, presste sie ihre Hände gegen den Unterleib.
    Obwohl John wusste, dass er sich nicht hatte einmischen dürfen, fühlte er sich schuldig.

Kapitel 7
    Die Vorbereitungen für die große Expedition waren erstaunlich schnell beendet. Der Zug, der sich vor den Toren Quitos formiert hatte, glich einem gigantischen Bandwurm aus Menschen und Tieren, angeführt von 340 spanischen Soldaten in schwerer Rüstung, davon 200 zu Pferd, der Rest zu Fuß. Sie waren Hidalgos, Angehörige des spanischen Adels, ausgerüstet mit Schwert und Rundschild, Pfeil und Bogen oder mit Armbrüsten. Feuerwaffen, zu dieser Zeit noch unhandlich und umständlich zu bedienen, sah John nur vereinzelt.
    Hinter den Konquistadoren kamen die Hunde, 2.000 an der Zahl, allesamt darauf abgerichtet, Hals und Kehle des Opfers anzugreifen. Ihr Kläffen und Jaulen hallte von den Bergen wider und hörte sich furchterregend an. Den Hunden folgten rund 4.000 indianische Träger, in wollene Ponchos gehüllt und mit dicken, auf den Rücken geschnürten Bündeln beladen. Das Ende des Zugs bildeten 2.000 Lamas, ebenfalls schwer bepackt, und 2.000 Schweine als Nahrungsvorrat.
    John war zur Eskorte eingeteilt worden und stand daher ein wenig außerhalb des Trosses, um dafür zu sorgen, dass alle anderen in Reih und Glied blieben. Insbesondere die indianischen Träger sollten gar nicht erst auf den Gedanken kommen, den Zug vorzeitig zu verlassen und sich in der Stadt zu verstecken. Die Eskorte war von Gonzalo Pizarros engstem Vertrauten Jorge La Roqua angewiesen worden, jeden Fluchtversuch mit äußerster Strenge zu ahnden. La Roqua hatte diesbezüglich keinen Zweifel gelassen: »Wir müssen diesen Wilden von vornherein Gehorsam beibringen!«, so seine Worte. »Wenn wir Schwäche zeigen, werden sie es ausnutzen. Irgendeiner wird den Anfang machen, und wenn einer es wagt, dann wagen es bald alle. Deshalb geht unnachgiebig mit ihnen um. Wer sich nicht fügen will, wird so hart bestraft, dass es allen anderen als Warnung dient. Denkt daran: Sie sind in der Überzahl. Auf jeden Spanier kommen mehr als zehn Plattgesichter. Wenn sie glauben, uns überwältigen zu können,

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