Incognita
werden sie es versuchen. Dazu dürfen wir ihnen keine Gelegenheit geben!«
La Roqua war ein Löwe von einem Mann. Sein blondes, strähniges Haar wirkte wie eine Mähne, seine Augen funkelten kampfbereit, seine Stimme klang wie kehliges Knurren. Noch dazu überragte er die meisten seiner Männer um mindestens eine halbe Kopflänge. In seinem neuen Körper – der wohl der durchschnittlichen Statur eines spanischen Soldaten entsprach – musste auch John zu ihm aufschauen. Er gestand sich ein, dass La Roqua ihm Respekt einflößte.
Außerdem erregte der Spanier seinen Widerwillen. Er war jener Kerl gewesen, der sich an der jungen Frau vergangen hatte.
Diese Indio-Frau …
Auf geheimnisvolle Weise hatte sie es John angetan. Ihre natürliche Schönheit, die Wildheit in ihrem Antlitz, ihre geschmeidige Gestalt – das alles wirkte auf ihn wie ein betörender Zauber. Natürlich vergaß er darüber nicht, dass er verheiratet war. Er liebte Laura und würde seine Ehe niemals gefährden. Ein Seitensprung während einer Zeitreise – allein der Gedanke war absurd. Dennoch verspürte er beim Anblick der Indio-Frau ein elektrisierendes Kribbeln auf der Haut. Sie hatte etwas von einem ungezähmten Tier, etwas Scheues und Stolzes gleichermaßen. Etwas, das Johns tiefstes Inneres ebenso ansprach wie – das musste er zu seiner Schande gestehen – seine triebhaften Instinkte. Halb Mädchen, halb Frau verkörperte sie die perfekte, jugendhafte Schönheit.
Auch jetzt ruhte Johns Blick auf ihr – sie stand nicht weit von ihm entfernt, am Rand der Viererkette, die die Indios bildeten. Allerdings beachtete sie ihn nicht. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf etwas, das weiter vorne im Zug zu sein schien, und es war nicht Gonzalo Pizarro, der in diesem Moment die Reihen seiner Soldaten abritt, um zu ihnen zu sprechen.
Worauf konzentriert sie sich?, wollte John wissen. So sehr, dass sie nicht einmal das Gewicht des Bündels auf ihrem Rücken wahrzunehmen scheint?
Aufkommendes Freudengeheul der spanischen Soldaten riss ihn aus seinen Gedanken: Gouverneur Pizarro hatte mit seinem Ross Position bezogen und ließ sich bejubeln, noch bevor er einen Ton gesagt hatte. Er war ein hagerer Mann mit dunklem, kurz geschnittenem Haar. Obwohl er, wie John wusste, erst um die dreißig Jahre alt war, wirkte er wie Mitte vierzig. Sein schmales Gesicht wurde durch den gepflegten, aber buschigen Vollbart, der ihm bis zum Schlüsselbein reichte, zusätzlich in die Länge gezogen. Die blank polierte Rüstung mit den goldenen Zierbeschlägen funkelte und glitzerte im Sonnenlicht wie ein geschliffener Diamant.
Um die Männer auf die bevorstehende Reise einzustimmen, hielt er eine flammende Rede. Er sprach von Ehre, von Abenteuer und natürlich von Reichtum. Er ließ auch nicht unerwähnt, dass in der Geschichte Südamerikas noch nie eine solch gewaltige Expedition unternommen worden war. Und sobald sein Cousin Francisco de Orellana aus Guayaquil zu ihnen stieß, würde sich der Zug sogar noch verstärken. Jedes seiner Worte verströmte Zuversicht und Entschlossenheit.
Während die Spanier ihm regelrecht an den Lippen klebten und immer wieder in zustimmendes Gejohle ausbrachen, hörte John ihm nur mit halbem Ohr zu. Er fragte sich, wie lange er nun schon hier sein mochte, besser gesagt, wie lange es noch bis zur zweiten Etappe seiner Reise dauern würde. Nach seiner Schätzung waren seit seiner Ankunft in Quito etwa drei Stunden vergangen. Mindestens. Der nächste Zeitsprung konnte demnach nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Gonzalo Pizarro beendete seine Ansprache mit einem euphorischen »Möge der Herr uns den Weg zu den unermesslichen Schätzen dieses Kontinents leiten«, und ein letztes Mal brachen die spanischen Soldaten in Jubelgeschrei aus. Er setzte seinen Kopfschutz auf, den er bis dahin unter dem Arm getragen hatte, einen zu seiner Prunkrüstung passenden offenen Helm mit buschigen Zierfedern, die unruhig in der ablandigen Brise flatterten. Dann gab er seinem schwarzen Hengst die Sporen und preschte wie der geborene Anführer an die Spitze des Zugs.
John sah ihm nach, ohne jedoch die Bewunderung der Konquistadoren für ihn zu teilen. Noch ahnte Pizarro nicht, dass ihm diese Expedition zum Verhängnis würde, dass er mit nur achtzig Soldaten hierher zurückkehren würde, ohne einen einzigen Indianer, ohne ein Pferd und ohne einen Hund. Wenige Jahre später würde man ihn des Landesverrats bezichtigen und in Cusco dem Henker
Weitere Kostenlose Bücher