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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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sie darin wunderschön und zugegebenermaßen auch überaus reizvoll.
    Sie wischte sich mit den Händen das Wasser aus dem Gesicht und rieb es sich mit dem Kleid trocken. Als sie aufsah, begegneten sich ihre Blicke. Einen Moment lang zögerte sie unschlüssig, als müsse sie sich erst darüber klar werden, ob sie es angenehm oder unangenehm fand, heimlich beobachtet zu werden. Dann schenkte sie John jedoch ein herzliches Lächeln und kam sogar zu ihm herüber, womit sie es tatsächlich schaffte, ihn seinen Sorgen zu entreißen, zumindest vorübergehend.
    Mit scheinbar schwerelosen Schritten kam sie näher, eine in Lumpen gehüllte Nymphe, das perfekte Zusammenspiel von Schlichtheit und Anmut. John verschlug es beinahe den Atem. Er steckte den Löffel in den klumpigen Breihaufen in seiner Schüssel, wischte sich den Mund ab und richtete sich auf, während sie sich zu ihm gesellte.
    »Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zu danken, Herr«, sagte sie mit einem betörenden Akzent. »Das möchte ich gerne nachholen. Ihr habt versucht, meinen Bruder zu retten. Es war sehr mutig von Euch, Euch gegen Euren eigenen Hauptmann zu stellen. Ihr habt Euer Leben für das eines Fremden aufs Spiel gesetzt, noch dazu für das eines einfachen Lamaführers. Niemand in diesem Zug besitzt mehr Herz als Ihr.«
    Johns erste Reaktion war, abzuwinken und die Angelegenheit herunterzuspielen, doch er spürte, dass die Frau das nicht hören wollte. »Ich bedauere nur, dass mein Einsatz sich nicht gelohnt hat«, sagte er.
    »Es ist nicht immer nur das Ergebnis, das zählt«, entgegnete sie. »Ihr habt in guter Absicht gehandelt, das ist für mich das Wichtigste.«
    John lächelte. »Wie heißt du?«, fragte er.
    »Neya.«
    »Neya«, wiederholte John. »Das klingt sehr schön. Mein Name ist …«
    »Ich weiß, wie Ihr heißt«, sagte die Frau. Dabei berührte sie ihn sanft, beinahe zärtlich am Arm. John spürte eine angenehme Wärme durch seinen Körper strömen. Gleichzeitig meldete sich jedoch auch sein schlechtes Gewissen: Was sich hier zu entwickeln begann, durfte nicht sein, mochte ein Teil von ihm es sich noch so sehr wünschen. Immerhin war er verheiratet, wenn auch in einer anderen, für ihn derzeit unerreichbaren Welt. Außerdem ergaben sich durch alles, was er hier tat, Konsequenzen für die Nachwelt. Wie würde sich der Lauf der Geschichte – und damit seine Gegenwart – verändern, wenn er tatsächlich eine Bindung zu diesem Indio-Mädchen einginge? Nein, er durfte die gegenseitige Zuneigung nicht weiter wachsen lassen, auch wenn er dadurch Neya und sich selbst wehtun würde.
    Noch während er nach den richtigen Worten suchte, ertönte eine Stimme: »Fertigmachen zum Weitermarsch! Wir brechen wieder auf!« Kurz darauf tauchten aus dem Halbschatten des Urwalds drei Reiter auf: Jorge La Roqua, flankiert von zweien seiner Gefolgsleute. Neben ihrem bulligen Hauptmann sahen die beiden anderen Soldaten beinahe wie Hänflinge aus. Dennoch loderte auch ihn ihrem Blick der pure Fanatismus.
    Als La Roqua John erkannte, wies er seine Helfer an, den Zug weiter abzureiten und dafür zu sorgen, dass alle Vorkehrungen für die Weiterreise getroffen wurden. Er selbst gab seinem Pferd die Sporen und ritt auf John zu. Seine ohnehin ernste Miene erstarrte zu eisiger Kälte, als er sah, dass Neyas Hand auf Johns Arm lag. Damit hatte er offenbar nicht gerechnet. Obwohl sein Gesicht wie eine Maske aus Stein wirkte, konnte John erkennen, wie es hinter der Fassade arbeitete. Wie La Roqua damit kämpfte, über die unerwartete Situation Herr zu werden. Schließlich schien ihm die geeignete Idee zu kommen. Über die offensichtliche Turtelei, die sich vor seinen Augen abspielte, verlor er kein Wort. Er schnaubte nur: »Ortega! Ihr übernehmt ab sofort die Nachhut!« Dann riss er die Zügel herum und ritt davon.
    Was wie ein bescheidener Versuch erschienen war, John und Neya zumindest räumlich voneinander zu trennen, entpuppte sich als harte Strafe. Zwar vermied John das Minenfeld aus Lama- und Schweinekot, indem er etwas abseits des durch den Zug verursachten Trampelpfads ging, doch dem widerwärtigen Gestank konnte er nicht entkommen. Außerdem war das Vorankommen am Rand des Pfads deutlich beschwerlicher. Schon bald taten John vom Schwingen der Machete die Arme weh.
    Noch mehr machte ihm die Isolation zu schaffen. Bislang hatte ihm die Gruppe trotz ungewohnter Umgebung ein Mindestmaß an Geborgenheit gegeben. Als Nachzügler kam er sich jedoch einsam

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