Incognita
fragte Hernán Gutiérrez gerade.
John gestand sich ein, dass er, vertieft in seine Gedanken, den Anschluss an das Gespräch verpasst hatte. »Geld?«, wiederholte er.
»Ja. Oder wollt Ihr nicht mit mir darüber reden? Ich für meinen Teil finde es jedenfalls herrlich, mir auszumalen, was ich mir von meinem Anteil alles leisten können werde.«
John begriff. Gutiérrez sprach von dem Reichtum, den die Konquistadoren im Dschungel zu finden hofften. »Ich habe mir über meinen Anteil noch keine Gedanken gemacht«, sagte er.
»Ich dafür umso mehr!« Gutiérrez lachte auf. »Ich mache mir täglich Gedanken darüber – seit ich den Hafen von Barcelona verlassen habe. Was glaubt Ihr, werden wir zuerst entdecken? La Canela oder Eldorado? Die Zimtwälder oder das Gold?«
»Ich weiß es nicht.« Es war eine Lüge, aber was hätte er dem Spanier sagen sollen? Dass in diesem Wald weder das eine noch das andere verborgen lag? Dass beides zwar hübsche Legenden waren, aber jeglicher Wahrheit entbehrten?
Gutiérrez sinnierte weiter: »Ich glaube, wir werden als Erstes auf Eldorado stoßen. Wisst Ihr, was die Träger sich erzählen? Dass Eldorado das Reich eines Halbgottes ist, der allmorgendlich mit Goldstaub eingepudert wird und abends in einem See aus flüssigem Gold badet. Verrückt, nicht wahr?«
John pflichtete ihm bei. »Die Frage ist nur, ob dieser See ausgerechnet in diesem Urwald liegt«, gab er zu bedenken.
Der Spanier ließ sich seinen Optimismus nicht nehmen. »Der See befindet sich genau in der Mitte des Waldes!«, sagte er mit überzeugter Stimme. »Ich habe ihn auf der Karte gesehen, die Don Pizarro mit sich führt. Der Parime Lacus, beinahe so groß wie ein Ozean. Wir können ihn gar nicht verfehlen! An seinem Ufer liegt Manao, die Hauptstadt von Eldorado. Wir werden die Stadt belagern, sie erobern und uns an ihren Schätzen bereichern. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
John verzichtete darauf, die Frage zu stellen, woher Pizarros Kartografen die Lage des Sees und dessen Größe so genau kannten, wo doch noch nie ein Europäer diesen Wald durchquert hatte. Auf den Karten jener Zeit vermischten sich geografische Realitäten allzu oft mit Mystik und purer Unwissenheit, woraus meist höchst illustre Kunstwerke hervorgingen. So war es im sechzehnten Jahrhundert gang und gäbe, ins Zentrum des südamerikanischen Kontinents den von Hernán Gutiérrez erwähnten See einzuzeichnen. Parime Lacus – den Parime-See. Von seiner Ausdehnung her vergleichbar mit dem Kaspischen Meer, handelte es sich jedoch nur um einen Fabelsee, weshalb die spanischen Konquistadoren weder ihn noch Manao oder Eldorado jemals finden würden. Dennoch dauerte es ganze zwei Jahrhunderte, bis der Parime-See endgültig von den Karten verschwand.
Eldorado! John seufzte innerlich auf. Diese Legende beflügelte die Fantasie. Es gab Dutzende von Versionen, wo sich das sagenumwobene Goldland befindet, eine angeblich zuverlässiger als die andere. Und wie viele Glücksritter waren dem Lockruf des Goldes gefolgt? Nicht nur hierher, ins Amazonas-Becken, sondern auch an all die anderen Orte, an denen die sagenhaften Reichtümer vermutet wurden. Allein im Jahr 1541 starteten zwei weitere Südamerika-Expeditionen, um Eldorado aufzuspüren. In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts konzentrierten sich die Hoffnungen dann auf eine Region unweit von Bogotá, wo der Spanier Antonio de Sepúlveda durch Aufsehen erregende Goldfunde am Ufer des Guatavita-Sees von sich reden machte. Dort hatten die Muisca-Indianer über Jahrhunderte hinweg Goldobjekte und Smaragde als Gabe für die Götter im Wasser versenkt. Um die Schätze des vierzig Meter tiefen Sees zu bergen, begann Sepúlveda sogar mit dessen Trockenlegung. Achttausend Indianersklaven schlugen eine tiefe, noch heute sichtbare Kerbe in den Ufersaum, um den See zu entwässern. Tatsächlich gelang es, den Wasserspiegel um zwanzig Meter zu senken und große Mengen von Schmuck aus dem Schlamm zu holen.
Der Guatavita-See hatte wenigstens einen Teil seiner Reichtümer preisgegeben und die aufwendige Schatzsuche dadurch in gewisser Weise gerechtfertigt. Doch im Herzen Amazoniens – in dem Gebiet, das Gonzalo Pizarro durchstreifen wollte – gab es nichts Vergleichbares. Keine Goldstadt. Keine üppigen Zimtvorkommen. Kein Land, das es in irgendeiner Art und Weise wert war, für die spanische Krone in Besitz genommen zu werden. Niemand würde durch diese Expedition reich und kaum einer berühmt
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