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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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einzigen gewaltigen Hieb. Der Körper des Eingeborenen sackte zu Boden und blieb reglos im Laub liegen.
    Das alles war so schnell gegangen, dass John es kaum realisiert hatte. »Ich danke Euch«, murmelte er. Mehr fiel ihm dazu im Moment nicht ein.
    La Roqua kam einen Schritt auf ihn zu, reichte ihm die Hand und zog ihn auf die Beine. »Ihr hattet dieselbe Idee wie ich«, sagte er leise. »Es wäre Selbstmord gewesen, beim Tross zu bleiben. Flucht war der einzige Ausweg. Lasst uns zusammenbleiben, zu zweit haben wir eine größere Überlebenschance.«
    John nickte, erstaunt über La Roquas Angebot. Der nackte Überlebenswille verdrängte zumindest im Augenblick ihre alte Feindschaft. Mit dem kämpferischen Spanier an seiner Seite fühlte John sich jedenfalls sofort besser.
    »Wir müssen weiter!«, raunte La Roqua. »Auf dem Weg hierher habe ich ein paar seiner Kumpane im Gebüsch erspäht!« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den toten Indianer. »Seid Ihr bereit?«
    »Wenn Ihr es seid.«
    »Dann folgt mir! Wir kehren später zum Tross zurück!« Mit diesen Worten rannte er los, weiter hinein ins Dickicht. John hatte Mühe, ihm zu folgen, ließ sich aber nicht abschütteln. Blätter schlugen ihm ins Gesicht wie nasse Lappen, Zweige und Äste schienen von allen Seiten nach ihm zu greifen wie gierige Klauen. Zu allem Überfluss erschwerten unzählige Wurzeln und herabhängende Lianen das Vorankommen. Ständig musste er aufpassen, nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.
    Sie erreichten eine kleine Anhöhe, die sich unvermittelt vor ihnen auftat. La Roqua schwenkte nach links, um die Anhöhe zu umrunden, aber John fiel auf, dass der Bewuchs weiter oben lichter wurde.
    »Dort entlang!«, keuchte er.
    La Roqua blieb stehen, wusste aber offenbar nicht, worauf John hinauswollte.
    »Das scheint ein Hochplateau zu sein. Wie es aussieht, gibt es dort oben viel weniger Pflanzen«, erklärte John. »Wir werden uns schneller fortbewegen können und zudem noch Kraft sparen. Kommt schon!«
    Ohne dem Spanier Zeit für Widerspruch zu lassen, preschte John voran. Der Aufstieg war steiler als gedacht und durch den immerfeuchten Lehm so glitschig, dass er mehrmals ausrutschte. Doch nach einigen Metern war es geschafft, und er erreichte den oberen Rand des Hangs.
    John sah sich um. Tatsächlich standen die Bäume und Sträucher hier oben weiter auseinander. Auch waren die Pflanzen lange nicht so fein gezeichnet. Die Blätter schienen weniger filigran, die Blüten weniger farbenfroh, die Baumstämme weniger strukturiert. Es sah beinahe so aus, als habe der Schöpfer dieses Waldstücks sich weniger Mühe gegeben, weil er der Meinung war, dass sich ohnehin kaum jemand hierher verirrte. Aber vermutlich lag es ganz einfach an der Nährstoffzusammensetzung des Bodens auf diesem Plateau.
    Hinter sich hörte John Jorge La Roqua. »Lasst uns umkehren!«, keuchte er. »Ich habe hier oben kein gutes Gefühl! Irgendetwas stimmt hier nicht!«
    In diesem Moment erschien am Fuß der Anhöhe eine Gruppe von fünf Eingeborenen. Sie waren nicht mit Pfeil und Bogen bewaffnet, sondern mit Lanzen und Schlagstöcken. Obwohl auch sie ihre Gesichter mit blauer und roter Farbe bemalt hatten, erkannte John einen von ihnen wieder: den Mann, der im Dorf der Napo das Schlangenopfer-Ritual durchgeführt hatte. In John keimte ein Verdacht auf: War es möglich, dass die Napo die letzten Tage genutzt hatten, neue Waffen herzustellen? Dass sie sich vielleicht sogar mit anderen Stämmen im näheren Umkreis zusammengeschlossen hatten, um gemeinsam gegen den Feind zu kämpfen? Das war natürlich reine Spekulation, doch die Übermacht der Indianer am heutigen Tag legte die Vermutung nahe. Sie hatten den Expeditionszug von allen Seiten umstellt und beschossen. Die wenigen kampfbereiten Männer aus dem Napo-Dorf wären dazu allein niemals in der Lage gewesen.
    John bemerkte ein weiteres Detail: Einer der vermeintlichen Krieger am Fuß des Hangs war eine Kriegerin. Aufgrund ihrer muskulösen Gestalt und der Körperbemalung war John das erst auf den zweiten Blick aufgefallen. Jetzt gab es jedoch keinen Zweifel mehr. Es stellte sich nur noch die Frage, ob diese Frau eines der Opfer der spanischen Massenvergewaltigung war oder ob die Napo sich mit den legendären Amazonen verbündet hatten.
    Einer der Eingeborenen am Fuß der Anhöhe entdeckte John und La Roqua und stieß einen gellenden Schrei aus. John drehte sich auf der Stelle um und rannte weiter, so schnell er konnte. La

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