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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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Abendbrot und meistens beim Frühstück, am Samstag und am Sonntagvormittag. Am Sonntagabend arbeite ich wieder.« Ihre feinen Hände machen beim Sprechen weit ausholende Gesten, hektische und immer wieder abgehackte Kreisbewegungen, die mir sehr europäisch vorkommen. Während sie spricht, beobachtet sie genau, wie ich klöternd meinen Kaffee umrühre.
    Ich frage sie nach ihrem Berufsethos. Danach, wieso in einer Kultur, die oft so asketisch und fern von jedem Materialismus scheint, so hart gearbeitet wird. Und so viel Geld gemacht wird. »Sammelt man damit nicht schlechtes Karma an?«
    »Aber nein.« Katy spricht über die verschiedenen Dimensionen der religiösen Pflichten in der Zeit des Veda und danach. Sie erklärt mir, dass im Varnashramadharma jeder Mensch verschiedene Aufgaben hat, je nachdem in welcher Lebensphase er sich befindet, und dass weltliches Handeln zur Erlösung führt. Sie legt die Hände wie ein Schulmädchen in den Schoß. Jetzt wirkt sie plötzlich ganz ruhig. »Nach dieser Lehre sollte man sich in meinem jetzigen Lebensabschnitt um seinen Beruf kümmern. Die Familie ernähren.«
    »Als Frau?«
    »Warum nicht?« Sie nippt an ihrem kalten Tee. »Die Dinge haben sich geändert.«
    Ich frage Katy, was ihre Töchter einmal werden wollen. Ihre Gelassenheit ist sofort verschwunden. Sie schaut hektisch auf ihre analoge Uhr. »Die haben komische Wünsche. Neulich sagte die Jüngere, sie will Detektivin werden, dann wieder Modedesignerin. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, dass sie so viel vor dem Computer hocken. Ob es sie informiert oder nur verwirrt. Ich sage meiner kleineren Tochter: Geh nicht in die Wirtschaft. Werde Professorin, Wissenschaftlerin. Von mir aus auch Malerin.«
    Als ich mich verabschiede und in einen der acht Fahrstühle treten will, hält die Managerin mich zurück. »Nur um das noch einmal klarzustellen«, sagt sie. »Natürlich macht mir der Beruf viel Spaß. Meine Arbeit tut mir sehr gut.«
     
    Am Nachmittag versuche ich erneut, in dem Geschäftsraum neben meinem Appartement ins Internet vorzudringen. Doch es gelingt mir wieder nicht. Während ich mir über dem entnervend dauerpiependen Anwahlton des immer wieder scheiternden Verbindungsaufbaus die Haare raufe, führt Salman-Rushdie-Elton-John am Nebentisch, die behaarten Arme vor dem weit geöffneten Polohemd verschränkt, ein Vorstellungsgespräch mit einem Jüngling in Motorradjacke und schwarzer Soziologenbrille. Sie sprechen Kannada, vermischt mit Englisch. Ich verstehe nicht viel. Neben dem jungen Mann sitzt seine Freundin, sie diskutiert lautstark mit. Mappen werden über den Tisch geschoben, Schreiben und Urkunden studiert. »Hat er sich für einen Job beworben?«, frage ich, als die beiden wieder draußen sind. »Ja, er wollte unsere Buchhaltung machen. Ein fleißiges Bürschchen, wie es scheint. Eine Arbeitsmaschine vielleicht. Aber ohne jeden Biss.«
    Am Abend hocke ich im Geschäftsviertel jenseits der Durchgangspiste neben aufgestylten Pärchen in einem Straßencafé,
das die Vermieterin mir empfohlen hat, und trinke einen britisch-kolonialen Abschied-von-Bangalore-Sundowner. Der Lärm der verstopften vierspurigen Trasse ist so laut, dass ich meine Bestellung schreien muss. Das ebenfalls von meiner Vermieterin empfohlene Restaurant im Einkaufskomplex über dem Café besticht durch eine eigenwillige Interpretation von westlichem Ökoschick. Im Foyer stehen schwere Stellwände aus Edelholz, besetzt mit runden und ovalen Spiegeln vor überdimensionalen Schalen voller Trockenblumen. Ich setze mich an einem niedrigen, schwarz lackierten Tisch auf ein Sofa und studiere ein abgewetztes Veranstaltungsmagazin, in dem zwischen Kleinanzeigen von Pubs, Clubs und Restaurants nichts Lesbares zu finden ist als eine Geschichte über ein Konzert von Iron Maiden auf den Wiesen in Bangalore im Vorjahr – aber eigentlich ist der Artikel nichts weiter als eine Beschreibung der Bandgeschichte mit Bildern, die aussehen wie von Wikipedia geklaut. Ich beobachte eine Geburtstagsgesellschaft an der Naturholztafel in der Mitte des Raumes. Die Männer trinken Bier, die Frauen Cola, zum Nachtisch werden Berge von Eiscreme aufgefahren. Dazu spült eine vierköpfige Band im rotierenden bunten Schlaglicht Klassiker von den Rolling Stones bis Steppenwolf mit zwei halb akustischen Gitarren und einem scheppernden Schlagzeug weich. Ich kann mich nicht entscheiden zwischen Pizza und Pommes, zwischen Heinecken und dem einheimischen

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