Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)
Kingfisher. Dass es sich nicht lohnt, Büffelsteak zu bestellen, weiß ich ja schon vom ersten Abend im Appartement.
Nach dem Pinkeln reicht mir ein livrierter Diener vor dem Waschbecken Papiertaschentücher. Und ich habe das Gefühl, dass ich ganz schnell zurück auf die Landstraßen möchte. Bangalore mag bequem sein. Aber es hat kein Gesicht.
Nach dem Goldrausch
An einem späten Vormittag Ende Januar stehe ich endlich auf den verlassenen Goldminen von Kolar. Auf der Nordseite jenes Hügellandes, durch das ich erfolglos einen Weg gesucht habe, steige ich aus dem Bus. Über eine breite Staubpiste wandere ich durch eine Brachlandschaft. Haushohe Abraumhalden ziehen sich in schnurgeraden, Hunderte Meter langen Rechtecken durch die hektarweit aufgewühlte rote Erde. Sie sind bepflanzt mit Eukalyptus und Agaven. In den Becken zwischen den künstlichen Hügeln rosten Türme, Tanks und Rohrleitungen neben verfallenden Produktionshallen. Die über Jahrtausende aufgewühlte Landschaft ist so ungeordnet und wüst, das menschengeschaffene Relief von einer so irritierenden Disharmonie, wie sie kein Meteoriteneinschlag, kein Erdbeben je hinterlassen würde.
Der Weg führt durch kleine Siedlungen. Koloniale Backsteinbauten mit Ziegeldächern über schmalen Veranden tragen Schilder mit Aufschriften wie »Misore Mine Dispensary« und »The New Imperial Bakery«. Vor herrschaftlichen, grauen Natursteinhäusern leuchten weiß lackierte Holzzäune, über denen Wäsche trocknet. Hässliche lang gestreckte Gebäude mit runden Dächern aus marodem Wellblech, die halb von Kletterpflanzen überwuchert sind, ducken sich in Gestrüpp. Über dem Eingangsportal des festungsartigen Gebäudes der Pentecoastal Mission steht der Wahlspruch The Lord is faithful – keep you from evil .
Der Weg endet in Marikuppam, einer ehemalige Minenarbeiterkolonie aus etwa fünfzig niedrigen türkis, blau und weiß gestrichenen Lehmhäusern. In dem einzigen Teehaus serviert ein schmächtiges Mädchen im Rüschenkleid Eis am Stil. Ein Dicker in Feinripp-Unterhemd sitzt in einer Nische des verwinkelten Raumes an einem Nähstuhl. Der Blick aus dem unverglasten Fenster ist bedrückend. Auf einem steinigen Sportplatz üben ein paar Jungen in kurzen Hosen Kricket. Vor der einzigen Bushaltestelle droht der tamilische Schauspieler und Politiker Vijay Kanth martialisch mit der behandschuhten Rechten. Offenbar haben seine lokalen Fans das Filmplakat aufgestellt. Daneben ist ein mit einer orangefarbenen Blumenkette geschmücktes Standbild des klassischen Poeten Thiruvalluvar mit Vollbart und einer Art Dutt auf dem Kopf errichtet. Auf dem »K S Vasan Memorial Board« vor einem verschlossenen Haus der Marxistisch-Kommunistischen Partei werden die Mitglieder der Siedlung namentlich zum Erntedank gegrüßt.
»Aber hier wächst schon lange nichts mehr«, sagt ein Mann, der sich ungefragt an meinen Tisch setzt. »Der Boden ist verseucht von Chemikalien. Es ist verboten, etwas anzubauen. Nicht einmal davon könnten wir noch leben.« Er stellt sich als Ravishankar vor. Mich erinnern seine strubbeligen, über der Stirn aufgetürmten Haare und trotzig geschwungenen Lippen an die Schwarz-Weiß-Fotos von Marinus van der Lubbe, den mutmaßlichen niederländischen Reichstagsattentäter. Ravishankar trägt einen angegrauten Vollbart, eine digitale, silberne Armbanduhr und eine sehr billig aussehende dunkelblaue Karottenjeans. Er ist sechsundvierzig Jahre alt, arbeitsloser Techniker und Junggeselle »aus Überzeugung«, ein indischer Bilderbuchanarchist.
Ich halte meinen Stock fest in der Hand, als wir durch niedriges Buschwerk zu einer dachlosen Ruine stolpern, die auf einer
nackten Geröllhalde steht. Daneben ragt eine Metallkonstruktion in den spiegelblanken Tropenhimmel, ein Gerüst, über das die mehr als einen Kilometer langen Stahltrossen von einer mit Diesel betriebenen Winde in den Einstiegsschacht liefen.
»Fast zweitausend Jahre lang wurde hier nach Gold gewühlt. Erst von den Hindukönigen, dann von den Briten, und als die weg waren von dem Unternehmen Bharat Gold Mines. Aber irgendwann waren die Schächte zu tief. Vor fünf Jahren haben die Konzerne die Minen aufgegeben.« Er wirft mir einen irren, finsteren Blick zu. Seine Augen sind blutunterlaufen. Er verschränkt die Arme vor der kräftigen Brust, auf der die weiße Behaarung aus dem offenen Hemd quillt. Seine Stimme klingt metallen, blechern. »Jetzt sind viertausend Menschen arbeitslos. Die Wasserversorgung
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