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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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hinter einem Tor, verziert mit dem endlosen buddhistischen Knoten und Chakra-Rädern. Der Platz davor ist vor allem ein Parkplatz. Ein junges Paar lässt sich vor einem Kleinwagen fotografieren. Ein Mann mit weißer Kongressmütze spielt Ziehharmonika. Im Eingang haben Devotionalienhändler Bilder und Bücher von Ambedkar auf dem Boden ausgebreitet. Innen ist alles weiß, grau und silbern. Keep Silence steht auf Tafeln. Stählerne Opferboxen sind hinter einem Geländer aufgereiht. Im Zentrum laufen die Besuchergruppen im Uhrzeigersinn um eine Miniaturversion desselben Gebäudes mit einer Kuppel aus Glas.
    In der Innenstadt will ich Geld von einem Automaten abheben. Vergeblich. Zwei Stunden lang jage ich von der State Bank of India zu ICICI, von der Bank of Baroda zur State Bank of Maharashtra und zurück. In manche Automaten stecke ich die Karte vier Mal hintereinander. Aber keiner akzeptiert die digitalen Befehle, während die indischen Kunden munter Scheine aus den Maschinen zählen. In der siebten Filiale nimmt mir ein Bankangestellter die Karte ab. »Vielleicht
ist der Magnetstreifen zerstört?«, fragt er und tippt auf den schwarzen Streifen, den mehrere deutliche Risse durchziehen. Ich gebe verzweifelt auf.
    Am Abend speise ich mit den Schülern in Nagaloka unter freiem Himmel vor dem Küchenhaus Reis und Linsen. Ich besuche noch einmal die Puja. Diesmal sitze ich zwischen den Gläubigen und lausche den Gebeten auf Pali. Ich frage mich, was ich machen soll, wenn ich auch am nächsten Tag kein Geld abheben kann. Und überlege, ob auch ich lernen sollte zu meditieren. Es könnte mir helfen, entspannter zu werden.
    Nach der Puja treffe ich den einzigen Mönch auf dem Gelände, der eine Robe trägt. Der Alte fährt mit einem Motorroller durch die Nacht. » Jai Bhim «, grüßt er, bremst und pickt schnell einen Fussel von meinem Dreitagebart. Ich erwidere seinen Gruß.
    Er fragt mich, ob ich mich in Nagaloka wohlfühle. Ich gestehe, dass ich mich seltsam fühle. »Das Geradlinige, Schnörkellose ist mir sehr vertraut. Der Buddhismus auch einigermaßen. Aber ich weiß nicht, warum, irgendetwas bleibt mir hier fremd.«
    »Das geht vielen Westlern so«, erwidert der Alte. »Mir hat mal ein englischer Schüler gesagt, er könne alles verstehen, was wir machen. Nur eines nicht: dass wir Religion und Politik nicht trennen.« Vielleicht ist es das, was auch mir fremd bleibt.

Das vergessene Tal
    Am nächsten Tag hebe ich noch vor Sonnenaufgang problemlos fünftausend Rupien ab und finde die Landstraße nach Norden. Der Mittelstreifen ist doppelt gestrichen, was die Autofahrer aber nicht von Überholmanövern abhält. Alle dreihundert Meter steht ein Baum, dessen Stamm rot-weiß angepinselt ist. Überall wehen fünffarbige buddhistische Fahnen, die mir sagen wollen, der Weg sei das Ziel. Aber ich zähle meine Schritte. Fünfhundert pro Baum, hundertfünfzigtausend bis in die nächst größere Stadt Chindwara, zwei Millionen bis in den Himalaya. Die Distanz bis nach Dehra Dun ist unvorstellbar.
    Der Seitenstreifen, über den ich wandere, ist weich und oft ölgetränkt. Einfache Restaurants, Autobuden und Reifenwerkstätten belagern den Straßenrand. Die Gastronomen in Nagpurs nördlicher Peripherie haben den Outdoorservice entdeckt. Ich speise vormittags im Golden Night Garden Restaurant und nachmittags im Basera Bar and Garden und erfrische mich mit einem Liter frisch gepresstem Ananassaft, den mir ein Mann mit einem rollenden Laden und einem bunten Sonnenschirm in den Plastikbecher gießt.
    In der Kleinstadt Saoner befördert mich ein Taxifahrer abends von einem Restaurant zurück in das Rasthaus. Er verlangt zwanzig Rupien Aufpreis. »Für die Scheinwerfer«, erklärt er und zeigt auf die Beleuchtung seines Fahrzeuges. »Es ist ja dunkel.«
    Kurz hinter Saoner erheben sich hohe Berge aus dem flachen Land. Sie markieren die Grenze zum Bundesstaat Madhya Pradesh. Ein handgemaltes Schild warnt vor Hirschen. Ochsenkarren, beladen mit Baumwollballen, rattern vorbei, niedrige Schindeldachhäuser wechseln sich mit kleinen Gehöften ab. Die Ernte ist, zu Büscheln gebunden, an die Wände der Höfe gelehnt und zu Hügeln, die an kleine Stupas erinnern, auf den Feldern aufgetürmt.
    Die Landstraße, die hinter Saoner vom National Highway 69 abzweigt, ist ideal zum Fernwandern. Ich laufe durch ein Land, das immer hügeliger wird. Rinder- und Ziegenherden ziehen über grüne Weiden. In den Wäldern leuchten Bäche zwischen Felsen.

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