Indigo - Das Erwachen
mein Bruder ist, den du siehst. Irgendwie seid ihr zwei auf einer Wellenlänge. Was auch immer sich zwischen euch beiden abspielt, ich glaube, dass du üben musst. Du bistwie ein Radio, das nicht richtig eingestellt ist. Und jetzt geht es darum, dass du ⦠den richtigen Sender findest.â
âIch glaube nicht, dass sich meine Probleme lösen lassen, indem ich ein bisschen an einem Rädchen herumdrehe.â Er zuckte mit den Achseln und wich ihrem Blick aus. âMeine Störfrequenzen reichen ziemlich tief. Ich bin damit geboren, und sie werden auch nicht weggehen.â
âBitte. Du musst mir helfen. Ich habe sonst niemanden ⦠jedenfalls niemanden, der mich versteht.â
Gabriels Blick wurde zwar schmal, doch diesmal sagte er nicht Nein, sondern nickte und seufzte tief.
âIch weià nicht, was daraus wird, aber ich werde es versuchenâ, sagte er. Als sie ihm zulächelte, schüttelte er den Kopf. âIch tu dir damit keinen Gefallen, glaub mir. Ich werde tun, was ich kann, aber wenn ich aussteigen will, musst du das respektieren. Und ich will auch keine Fragen dazu beantworten. Ich habe meine Gründe, und die bestehen nicht nur darin, dass ich ein Arschloch bin. Jedenfalls benehme ich mich nicht mit böser Absicht daneben. Einverstanden?â
Er streckte eine Hand aus, um das Geschäft zu besiegeln.
âJa, verdammt. Einverstanden.â
Grinsend zog Rayne ihn an sich und umarmte ihn, weil ihr ein Handschlag nicht ausreichend vorkam. Als sie seine Arme um ihren Körper spürte, erschauderte sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen â doch diesmal hatte das Kribbeln nichts mit Gabes seltsamer Macht über seinen Geisterhund und seiner Verbindung zu den Toten zu tun.
âAls ich gestern gesehen habe, wie du bei den Tunneln Feuer gefangen hast, habe ich etwas gespürtâ, sagte sie. Sie lag noch immer in seinen Armen.
âWas denn? Das Bedürfnis, Marshmallows zu besorgen?â
âIch meine es ernst.â Sie blickte auf den glitzernden Horizont hinaus. âEs war wie eine Erinnerungswelle an meine Vergangenheit, an Leute, die gestorben sind. Die Erinnerungen haben sich total echt angefühlt, als ob die Leute wirklich bei mir wären. Hast du irgendwas damit zu tun?â
Rayne schob ihn von sich weg und sah zu ihm hoch. Es kam ihr verrückt vor, überhaupt über das seltsame Verbundenheitsgefühl mit den lebenden und toten Mitgliedern ihrer Familie zu sprechen. Ihre Erinnerungen an die Vergangenheit waren so stark gewesen, als wären sie real und würden in der Gegenwart stattfinden. In Anbetracht der Heftigkeit dieser Gefühle konnte sie die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen, ohne Gabriel darauf anzusprechen. Gleichzeitig wollte sie ihm aber nicht erzählen, dass ihre Eltern beide tot waren.
âIch weià es nicht, Rayne. Du bist der einzige Mensch, der jemals so nahe mit dabei war, dass er sehen konnte, was ich tue.â Er blickte auf die Stadt hinaus, deren Lichter sein Gesicht sanft erleuchteten. âAber Hellboy stammt vom falschen Ufer des Jordan, und ich stelle über ihn eine Verbindung zwischen mir und dem Ãbernatürlichen her. Wer kann da schon wissen, was möglich ist und was nicht?â
âWas passiert, wenn du dich in sein Bewusstsein begibst?â, fragte sie. âDu hast dabei so ⦠wütend ausgesehen. Als ob du gleich explodierst. Als ob es wehtut.â
Es fiel ihm schwer, ihr in die Augen zu sehen. Sie war sich nicht sicher, ob er ihr antworten würde.
âIch weià nicht, ob ich erklären kann, wie genau ich das alles heraufbeschwöre. Und ich glaube, eigentlich will ich es auch gar nicht.â Er zuckte mit den Achseln. âKörperlich passiert wohl gar nicht so viel. Aber in mir fühlt es sich an, als ob â¦â
âAls ob was?â
âAls ob jedes Molekül in meinem Körper explodiert und plötzlich frei schwebt. Dieser Teil ist nicht schmerzhaft, ganz im Gegenteil. Es ist wie ein Rausch.â
âSo gehtâs mir mit Schokolade.â
Rayne verstand rein gar nichts. Nicht mal, als er erklärte, wie sein Bewusstsein wie eine Kanonenkugel von Lebewesen zu Lebewesen schoss. Er konnte sich auf eines dieser Geschöpfe konzentrieren oder die all diese Erfahrungen gleichzeitig durchleben. Ein absolutes Hammergefühl. Rayne machte groÃe Augen und hielt vor Spannung die Luft an, bis er fertig erzählt
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