Indigo - Das Erwachen
Er hat ebenfalls Kontakt aufgenommen, Rayne. Das ist vorher noch nie passiert! Ich weià nicht, ob das von ihm oder von mir ausging, aber irgendetwas Merkwürdiges ist geschehen. Du hattest recht. Ich glaube, ich habe ⦠Visionen.â
Eine Weile lang starrte sie ihn einfach nur an, unsicher, was sie glauben sollte. Dann brach sie das Schweigen.
âWas hast du gezeichnet?â
Als er näher kam, musste Rayne ihren ganzen Mut zusammennehmen, um nicht wegzulaufen. Er reichte ihr seinen Skizzenblock, der auf der Seite mit seiner ersten Zeichnung aufgeschlagen war. Ein Mädchengesicht, das Rayne noch nie gesehen hatte. Die Fremde schien zu schlafen, sie lag auf der nackten Brust eines Jungen. Es war nur einTeil seines Kinns zu sehen, aber das reichte, um einen Verdacht in Rayne zu wecken, wer der Junge war. Sie blätterte zur nächsten Seite, um sich zu überzeugen, dass sie recht hatte.
âWas ist los?â, fragte Gabe und spähte ihr über die Schulter.
âIch denke, das ist Lucas.â Sie hielt den Skizzenblock so, dass Gabe beide Seiten auf einmal sehen konnte. âSieh mal, wie seine Lippe geformt ist. Und dann diese Wunden an Kinn und Arm. Sie sind auf beiden Zeichnungen identisch, und der Arm ist an derselben Stelle verbunden.â
âOh, wow, du hast recht.â Er warf ihr ein kurzes Lächeln zu. âSchätze, es hat funktioniert.â
âWas denn?â
Gabe zuckte zusammen. Rayne befürchtete, dass er sich gleich wieder in sich selbst zurückziehen würde. Offenheit lag nicht in seiner Natur, soviel war klar.
âIch bin hergekommen, um ⦠nach deinem Bruder zu suchen.â
âWirklich?â
âJa, ich habe mich auf ihn konzentriert, und offenbar habe ich ein paar Mal einen Blick auf ihn werfen können. Das hab ich vorher noch nie gemacht! Total cool.â
âIch dachte, du willst mir nicht helfenâ, sagte Rayne. âDass er dir egal ist!â
âHm, ich wollte ja auch, dass du das glaubst.â Er schob die Hände in die Hosentaschen. âIch hab ⦠eine Menge um die Ohren, das ist alles. Aber das bedeutet nicht, dass es mir egal ist, was mit deinem Bruder passiert â oder mit dir.â
âAch so?â Rayne musste sich zwingen, keine Miene zu verziehen.
âJa.â Gabe spielte seine beste Version des schüchternen Jungen.
âDu hast also spontan beschlossen, mir zu helfen. HeiÃt das, du bist dabei?â
âBitte interpretier da nicht zu viel rein, Rayne. Ich habe trotzdem Probleme, und ich könnte ein gewaltiges Risiko für dich und Lucas bedeuten.â
âIch glaube, riskanter kann seine Situation nicht mehr werden, Gabe. Ich muss ihn finden.â Sie atmete tief durch. âWer auch immer dieses Mädchen hier ist â Lucas ist bei ihr, und vielleicht war sie es, die seinen Arm verbunden hat. Immerhin hat er jemanden. Er ist nicht alleine.â
âJa, vielleicht. Wenn meine Zeichnungen die Wahrheit zeigen. Aber das können wir nicht wissen.â
Rayne blickte wieder auf seinen Skizzenblock.
âWas ist das hier? Hier oben, im Hintergrund der Zeichnung! Das ist irgendwie seltsam. Ist es dir überhaupt aufgefallen?â Sie hielt die Seite hoch, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. âDas sieht historisch aus, als ob du einen Ausflug mit einer Zeitmaschine gemacht hast. Und was hat es mit den fehlenden Teilen auf sich?â
Sie wies auf einen Bildbereich, der einen Bahnhof mit Leuten in altmodischer Kleidung zeigte. Einige Stellen waren leer geblieben. Gabe schien die Zeichnung zwar mit Absicht so angefertigt zu haben, aber warum, war ihm selbst ein Rätsel.
âIch weià nicht.â Er schüttelte den Kopf. âIch kann immer nur einen kurzen Blick auf alles werfen, es sind Eindrücke. Das hier kam mir wichtig vor, aber das muss nichts heiÃen. Ich sehe nur ein groÃes Durcheinander und muss entscheiden, was davon ich zeichne.â
Es war offensichtlich, dass Gabriel helfen wollte, und jetzt wirkte er frustriert.
âTut mir leid, ich weiÃ, wie verrückt das klingtâ, sagte er. âDu versuchst, Lucas zu finden, und was ich gerade gemacht habe, war vielleicht nichts weiter als eine riesige Zeitverschwendung. Ich weià ja nicht mal, was genau ich in meinen Visionen sehe.â
âEs ist mehr, als ich vorher hatte.â Sie berührte ihn am Arm. âIch muss einfach glauben, dass es
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