Indigo - Das Erwachen
sich aus einem unsichtbaren Gefängnis zu befreien. Diesmal stand er nicht in eisigen Flammen. Seine geisterhafte Silhouette wurde durch Wolken erzeugt, die in regelmäÃigen Abständen zu einem feinen Nebel verpufften. Wo auch immer Gabriel war â Hellboy wurde durch ein unsichtbares Hindernis von ihm getrennt.
Und dann entdeckte Rayne ihn. Sein Anblick entsetzte sie so sehr, dass ein seltsamer, gequälter Laut aus ihrer Kehle drang. Gabe stand einige Meter hinter Hellboy, und sein Körper zuckte, als hätte er einen Krampfanfall. Seine schönen Augen waren nach hinten gerollt. Er war ganz alleine, eingehüllt in tosende blaue Flammen, und er sah aus, als würde er jede Sekunde unter dem Gewicht der Kraft, die ungebremst durch ihn hindurchrauschte, zusammenbrechen. Irgendetwas war hier ganz gewaltig schiefgelaufen. Rayne ignorierte ihren Drang, davonzulaufen, und ihre Angst vor Hellboy, und sprang auf die FüÃe. Dann rannte sie zu Gabe und griff mit ihren bloÃen Händen und Armen durch die blauen Flammen hindurch nach ihm.
Die Kälte des Feuers schmerzte fürchterlich, und Raynes Angst nahm ein bisher ungekanntes Ausmaà an, aber sie lieà Gabe nicht los.
âGabriel. Kannst du mich hören?â Sie tat ihr Bestes, ihn aufrechtzuhalten, aber er war einfach zu schwer.
Sie schwankte unter seinem Gewicht und lieà ihn zu Boden sinken, aber seine Zuckungen wollten auch im Liegen nicht weniger werden. Er warf sich hin und her und murmelte dabei Worte, die sie nicht verstand. Eine merkwürdige Hitze vermengte sich mit der Kälte, die von seinem Körper abstrahlte, als wäre er eine Energiequelle, die auch Rayne erfasste. Sie legte sich Gesicht an Gesicht neben ihn und hielt ihn fest, sog seinen keuchenden Atem auf, als könne sie ihn so von seinen Schmerzen befreien. Sie wusste nicht, ob er noch bei ihr war. Was für eine Macht auch immer von seinem Körper ausging: Sie hatte ihn überwältigt und drohte, ihn zu verschlingen.
âIch bin bei dir, und ich werde dich nicht verlassen.â Rayne war sich nicht sicher, ob Gabriel sie hören konnte, aber sie hörte nicht auf, mit ihm zu sprechen. âBleib bei mir, bitte!â
Das Adrenalin, ihre gewaltige Angst und ein unkontrollierbarer Drang bewegten Rayne dazu, etwas absolut Unerwartetes zu tun: Sie küsste Gabriel. Es war kein schüchterner erster Kuss. Sie zog ihn an sich, als hätten sie schon tausendmal miteinander rumgemacht, und presste ihre Lippen hart auf seine. Im ersten Moment reagierte er gar nicht. Die Zuckungen hatten ihn noch immer fest im Griff, aber nach ein paar Sekunden entspannte sich sein Körper etwas, und Gabe hörte auf, sich gegen Rayne zu wehren. Sie küsste seine Lippen, seinen Hals, selbst seine Augenlider, bis er in ihren Armen zusammensank und die Krämpfe aufhörten.
Rayne blickte in sein schlaffes Gesicht. Seine Augen waren geschlossen, und er ruhte mit seinem ganzen Gewicht auf ihr. Er bewegte sich nicht mehr, sie war nicht einmal sicher, dass er noch atmete.
âGabriel?â Ihr standen Tränen in den Augen. âGeht es dir ⦠gut?â
Der Lärm in der Bibliothek drang jetzt nur noch gedämpft zu ihr durch. Die Stimmen, die Tiere, die Alarmglocke, all das wurde ausgeblendet. Selbst Hellboys Anwesenheit war ihr nicht mehr bewusst. In ihrem Kopf gab es nur noch Gabriel.
Blinzelnd öffnete er die Augen, als wäre er aus einem langen Schlaf erwacht. Als er Rayne erkannte, hob er einen Arm und strich ihr mit zitternden Fingern übers Gesicht und durch ihr Haar. Er wirkte erschöpft, doch ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, als er ihr mit schläfrigem Blick in die Augen sah. Wenn es nach Rayne gegangen wäre, hätte dieser Moment ewig andauern können, hätte sie für immer dieselbe Luft eingeatmet wie Gabe und seine tröstlichen Berührungen und seinen Körper an ihrem gespürt.
âWas ⦠ist passiert?â, fragte er heiser.
So eine einfache Frage. Sie wollte ihn wieder küssen, diesmal ganz von selbst, ohne unter Kontrolle der Kraft zu stehen, die er entfesselt hatte. Doch jetzt unterlag sie einem ganz anderen Einfluss â einem, der aus ihr selbst stammte. So sehr sie Gabe auch festhalten und in Tränen ausbrechen wollte, weil sie so glücklich war, dass er noch lebte â sie widersetzte sich dem Drang. Etwas Grauenhaftes war geschehen. Sie musste sich darauf
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