Indigo - Das Erwachen
in der Küche etwas zu essen holen konnte, und erklärte, dass Frederick zwei Zimmer für sie und Gabe vorbereitete, in denen sie schlafen konnten. Von einem Toten â ganz gleich, wie elegant gekleidet er war â in ein Schlafzimmer geleitet zu werden, war ziemlich gewöhnungsbedürftig. Doch Rayne bemühte sich, einfach zu akzeptieren, wie die Dinge in diesem Herrenhaus, in dem die Lebenden Seite an Seite mit den Toten wohnten, nun einmal waren. Sie war in eine vollkommen bizarre Welt eingetaucht, und Gabriel war ihr Fremdenführer. Irgendetwas verriet ihr, dass sie nur an der Oberfläche all der Geheimnisse kratzte, die Gabriel hatte.
Rayne lächelte und zog sich in den hinteren Teil des Salons zurück, damit die beiden Zeit hatten, ungestört ihr Wiedersehen auszukosten. Jetzt, wo sie Onkel Reginalds starken Akzent gehört hatte, fragte sie sich nicht mehr, woher Gabriels leichter britischer Einschlag kam. Seine Eltern schienen aus England zu stammen. Sie musste ihre gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht zu belauschen, was Gabriel und sein Onkel am Feuer besprachen.
Der Raum war so groÃ, dass ihre Wohnung zehnmal hineingepasst hätte. Nachdem sie ein ruhiges Eckchen gefunden hatte, warf sie einen Blick auf ihr Handy. In der Bibliothek hatte sie es auf Vibrationsalarm gestellt, und auf der Fahrt hatte es unzählige Male in ihrer Hosentasche gebrummt. Eigentlich war sowieso klar, wer sie angerufen hatte: Mia. Doch im Augenblick hatte Rayne keinerlei Bedürfnis, sich bei ihrer Schwester zu melden.
Die faszinierende Ausstellung an der hinteren Saalwand war weitaus unterhaltsamer.
Vorher war es Rayne gar nicht aufgefallen, aber das höchst geschmackvolle Dekor wurde durch riesige verblichene Plakate ergänzt, die auf groÃe Rahmen gezogen worden waren. Zirkusplakate . Trapezkünstler, Elefanten und skurrile Clowns bedeckten die Wände und türmten sich über Raynes Kopf bis zur Decke. Im flackernden Licht des Feuers wirkten die gewaltigen Bilder fast schon lebendig.
Beeindruckt musterte sie die exotischen Werbetafeln. Sie würde Gabriel nachher fragen, was es mit dieser ausgefallenen Sammlung auf sich hatte, die nicht so recht zu dem luxuriösen Ambiente zu passen schien. Als sie sich nach ihm umsah, bemerkte sie, dass er nicht mehr mit seinem Onkel sprach.
Stattdessen sah er in ihre Richtung, und sein Anblick zerriss ihr fast das Herz, so traurig wirkte er auf einmal. Sie musterte wieder die Plakate, diesmal genauer. Und da erkannte sie, was Gabriel so unglücklich machte. Auf einem der Bilder war ein Junge zu sehen, der sich eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte, die fast sein ganzes Gesicht verdeckte. Er stand mit ausgestreckten Armen da, eine Pose, die Rayne vertraut war, und der fesselnde Blick des Jungen lieà keinen Zweifel. Neben ihm stand eine wunderschöne Frau, die auf dem Plakat als âLady Kathrynâ angepriesen wurde. Sie trug einen Umhang und ein Diadem und hatte einen groÃen Hund bei sich, der stark an einen wilden Wolf erinnerte.
Quer über den oberen Teil der Werbetafel war der Schriftzug Hellboy und das Dritte Auge gedruckt, darunter standen die Worte Briefe von den Toten . Rayne erkannte die Ãhnlichkeiten, auch ohne fragen zu müssen. Gabriel sah aus wie seine Mutter, und er und sein Geisterhund schienen eine lange gemeinsame Vergangenheit zu haben. Er hatte Hellboy schon gekannt, als das Herz des Hundes noch geschlagen hatte.
Gabes Verbindung zu den Toten wurzelte tief in einer Vergangenheit, über die Rayne alles erfahren wollte.
12. KAPITEL
Zentrum von L.A .
Der nächste Tag
Lucas fühlte sich schwach und sein Kopf schmerzte noch, hielt es aber nicht mehr im Bett aus. Da es hier in den Tunneln kein Tageslicht gab, hatte er keine Ahnung, wie viel Uhr es war. Kendra hatte ihm beim Essen geholfen, danach war er immer wieder weggedämmert. Als er aufwachte und feststellte, dass er allein war, beschloss er, sich auf die Suche nach ihr zu machen. Wie sie versprochen hatte, lag seine Kleidung gewaschen und getrocknet auf einer Kiste neben der Matratze. Nachdem er sich angezogen hatte, machte er sich auf den Weg.
Er probierte seine Fähigkeiten aus, indem er zu spüren versuchte, wo in der Tunnelfestung Kendra sich aufhielt. Diesmal suchte er sie nicht auf die übliche Art mit seinen Gedanken. Er stellte sich nicht einmal ihr Gesicht richtig vor, sondern vertraute darauf, dass ihn seine
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