Indigo - Das Erwachen
Instinkte durch die Dunkelheit führen würden. So etwas hatte er noch nie zuvor getan. Nachdem er Kendra kennengelernt und die Anwesenheit der anderen gespürt hatte, war ihm klar geworden, dass das, was ihn in der einen Welt zum AuÃenseiter machte, in dieser anderen Welt eine Stärke war. Das schenkte ihm den Mut, neue Dinge auszuprobieren, ohne zu verstecken oder Angst davor zu haben, was er war.
Er fand Kendra bei der Arbeit in einem Garten. Ihre Aura hatte einen sanften, blaugrünen Ton angenommen und umfloss sie eher, als dass sie pulsierte. Die Zufriedenheit war ihr anzusehen. Es verblüffte ihn, hier unten einen Ort von so unerwarteter Schönheit zu entdecken. Es musste Kendra gewesen sein, die ihn erschaffen hatte: eine Oase aus frischen Kräuteraromen und schwerem Blütenduft. Als er ins Licht hinaustrat, musste er seine Augen abschirmen, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Grüne, in Sonnenlicht getauchte Ranken wanden sich aus einer vergitterten Ãffnung in der Decke hinab. Von unten reckten die Pflanzen sich dem Licht entgegen, und Bienen und Schmetterlinge schwirrten zwischen den Blüten herum. Kendra und die anderen hatten Metallgerüste errichtet, auf denen die Pflanzen in mehreren Lagen wuchsen, und von den Wänden tropfte Wasser aus Plastikschläuchen. Die Luft roch feucht und nach reichem Boden und dem süÃen Duft des Gartens.
Es musste einfach Kendra gewesen sein, die den Garten geplant hatte. Die Pflanzen erinnerten Lucas an all die Kinder, die Kendra vor der Gefahr gerettet und hierhergebracht hatte, um sie zu einem Teil ihrer Familie zu machen. Sie kümmerte sich um sie alle, so wie sie sich um Lucas gekümmert hatte.
Kendras geistige Fähigkeiten waren nichts im Vergleich zu der Schönheit ihres Herzens.
âDas hier ist ⦠einfach magisch. Du hast das erschaffen, nicht wahr?â Er starrte empor in die Sparren voller Pflanzen, die sich die Wand über seinem Kopf emporwanden.
âJa, wir brauchte ja etwas zu essenâ, sagte sie. âDen Ãberschuss verkaufe ich an Gemüsehändler in der Umgebung, und ein Reformhaus in der Nähe nimmt mir die Heilkräuter ab. So kommen wir zu ein bisschen Geld. Rafe und Benny kümmern sich darum.â
Als sie weiterarbeitete, spürte Lucas, dass sich etwas zwischen ihnen geändert hatte. Er musste ihr begreiflich machen, was es für ihn bedeutete, sie in seiner Nähe zu haben.
âFür mich ist all das hier neuâ, erklärte er. âDu sagst, dass ich hier bei euch einen Platz zum Bleiben habe ⦠dass ich hierhergehöre. Aber ich brauche Zeit. Es ist, als hätte ich jahrelang im Koma gelegen. Ich weià nicht, wer oder was ich bin. Die ganze Zeit über dachte ich, dass ich fehlerhaft bin. Mein Leben lang habe ich mich für einen Irrtum der Natur gehalten. Das lässt sich nicht einfach über Nacht auslöschen.â
Als Kendra ihre Arbeit unterbrach, spürte er den lauernden Schatten in ihrer Seele schon, ehe sie auch nur einen Ton von sich gegeben hatte. Sie lieà ihn ihre Dunkelheit absichtlich spüren.
âIch habe die Stimme gehört, so viele Stimmen. Am deutlichsten konnte ich sie hören, wenn ich mit Blumen gearbeitet habe. Die Pflanzen haben mir dabei geholfen, die Stimmen zu ordnen.â
âDas ist wunderschön.â
âAber die Zeit hat mir diese Stimme geraubt, Lucas. Die Zeit und die Believers. Eins nach dem anderen sind unsere wunderbaren Indigokinder verschwunden, und ihre Stimmen sind verstummt. Ich weià nicht, was mit ihnen passiert ist. Aber ich spüre den Verlust auf eine Weise, die ich nicht beschreiben kann. Vielleicht sind sie tot oder auf andere Weise zum Schweigen gebracht worden. Die Believers bringen die natürliche Ordnung durcheinander.â
âWir könnten uns Hilfe suchen ⦠um sie aufzuhalten.â
Sie schüttelte den Kopf.
âWem könnten wir denn vertrauen? Wir sind die perfekten Opfer für jeden, der uns schaden will, weil wir unsere Stimme nicht erheben können. Wir können es uns nicht leisten, unter die Lupe der Ãffentlichkeit gezerrt zu werden. Wenn wir nicht mehr nur auf schrägen New Age-Webseiten auftauchen, sondern zum Mittelpunkt von staatlich geförderten wissenschaftlichen Studien werden, sind wir nirgendwo mehr in Sicherheit.â
Sie senkte die Stimme, und ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. Ihre Aura nahm eine
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