Indigo (German Edition)
wohl auch mitgeschrieben und ... und eventuell nachgefragt, ob ich Sie richtig verstanden habe.
– Nein, nein, nein, das geht so nicht, sagte er. Das können Sie nicht tun, das ist feige. Sie sind ja nicht zum Mitschreiben hier, das kann ein Diktiergerät besser als Sie. Ich kann Ihnen ja auch eine MiniDisc vollquatschen und Ihnen schicken. Das geht so nicht.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.
– Wie fühlen Sie sich jetzt?, fragte er. Wie eine in die Ecke gedrängte Ratte?
– Nein. Ich glaube, Sie haben recht. Ich hätte wohl irgendwann protestiert.
– Irgendwann! Ah, das sagt sich natürlich immer leicht im Nachhinein. Aber Sie waren in der Helianau. Haben Sie da nichts mitbekommen von ...
– Von?
– Schwitzkuren.
– Doch, das heißt nein, ich hab’s nicht direkt gesehen, aber Frau Dr. Häusl –
– Ah, machte Oliver Baumherr, nicht diesen Namen! Schrecklich!
– Sie hat es jedenfalls erwähnt.
– Furchtbare Frau. Hat nicht die geringste Ahnung.
– Wovon?
Oliver Baumherr schüttelte den Kopf, und ich bekam wieder Lust, an seiner angenehm runden Erscheinung herumzukneten. Dann sagte er:
– Kennen Sie diesen Film, der überall zu sehen ist ... Von diesem Elefanten, der Blumen malt?
– Was? Nein.
– Na ja, da sieht man so einen Elefanten, irgendwo in Thailand. In einem thailändischen Zoo, um genau zu sein. Er hat einen Pinsel im Rüssel und malt damit auf einer Leinwand ein Bild. Von einem Elefanten, der eine Blume im Rüssel hat. Und dann von einer Blume. Und noch einmal eine Blume. Warten Sie, ich zeige es Ihnen.
– Ich glaube, ich kenne es doch, log ich.
– Okay, aber wissen Sie auch, wie das gemacht wird? Geht es dem Elefanten gut, oder wird er so lange gefoltert, bis er diesen Trick beherrscht? Alles okay?
– Oh ... Ja, mir ist nur ... etwas schwindlig. Die lange Zugfahrt.
– Möchten Sie ein Glas Wasser?
– Bitte.
Oliver Baumherr holte mir ein Glas und stellte es vor mich hin.
– Was wir über die relozierten Kinder wissen, ist mehr, als man über diesen Elefanten weiß. Sie werden gut behandelt. Zumindest relativ. Sie werden versorgt, man foltert sie nicht, man schleust sie nur in eine bestimmte Gesellschaft ein, die destabilisiert werden soll. Was weiß ich, zum Beispiel in eine Schule, die neben einem strategisch wichtigen Gebäude steht. Oder in ein Gefangenenlager. Da sitzen sie in einem Zimmer neben den Zellen. Das Nebenzimmer selbst ist wunderschön eingerichtet. Die Eltern sind in der Nähe. Meist ziehen sie sogar mit.
Ich musste mich konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren. Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen.
– Ferenc-Hollereith hat es nicht Indigo Potential genannt. Diese Formulierung haben wir geprägt. Bei ihm hieß es einfach nur Human Potential. Er hat allgemeiner gedacht. Aber die Hollereith-Behandlung, so wie sie heute ver-standen wird, ist wieder etwas anderes.
– Aber was hat das mit ... Elefanten zu tun, die Blumen malen?, fragte ich.
– Kunst ist im Grunde immer etwas furchtbar Mitleidloses und Grausames, sagte Oliver Baumherr. Mir persönlich hängt sie zum Hals raus. Diese Leute, die sich irgendwo in Villen oder auf Schlössern niederlassen und dann daran arbeiten, wie sie, was weiß ich, Interventionen im öffentlichen Raum schaffen oder so einen Scheißdreck, und irgendwann treten sie aus der Villa, stellen eine lächerliche Skulptur auf, und das war dann alles, wozu sie in der Lage waren. Absurd. Kunst ist fast immer grausam und widerlich. Ich sag’s, wie es ist. Und genauso ist es mit den Elefanten in Thailand, die werden nicht gut behandelt, die werden gequält, und was –
– Okay, aber, was genau ist denn die Hollereith-Behandlung?
Ich hatte mir die Hand gegen ein Ohr gepresst, das andere war noch frei. Aber meine zweite Hand wartete bereits, ebenfalls nach oben zu fliegen und es zu verschließen.
– ... und was lassen sie den Elefanten zeichnen? Einen Elefanten, der eine Blume im Rüssel hält, eine riesige Blume, die er wahrscheinlich den Menschen übergeben wird. Und alle machen Ooohh und Aahhh und brechen vor Rührung in Tränen aus und applaudieren. Aber die Auswahl dieses Motivs, dieses Blumenbildes, diese Auswahl ist, was den Zynismus angeht, für mich auf einer Stufe mit Arbeit macht frei oder Jedem das seine.
Er verstummte, tippte nur mit dem Zeigefinger einige Male auf den Schreibtisch.
– Ist das jetzt der Augenblick, wo ich protestieren sollte?, fragte
Weitere Kostenlose Bücher