Indigo (German Edition)
Magda und wurde rot.
– Ah, jetzt weiß ich, wo ich dich schon mal gesehen habe, sagte Robert zu ihr. In einem dieser Festumzüge, die dauernd unterwegs sind!
Es wurde still.
– Darüber macht man keine Witze, sagte Willi.
– Mein Gott, bist du heute ernst!, sagte Robert und lachte. Jetzt respektier endlich das verdammte Holz und den Scheißkaugummi und sei still.
– He, apropos Respekt, sagte Willi. Du bist wieder ganz rot im Gesicht, mein lieber Freund. Lach nicht zu viel, sonst … Ich meine, falls du auf die Toilette musst, dann wäre jetzt noch eine Gelegenheit. Später, wer weiß …
Magda schrie auf, als Robert sich auf Willi stürzte. Sie wurde von ihrem Stuhl gestoßen und fiel unter den Tisch. Cordula versuchte, Robert von Willi wegzuzerren, aber er entwickelte wahnsinnige Kräfte, wenn er wütend und verzweifelt war.
– Hör auf, bitte!, flehte sie ihn an. Hör auf!
Sie schaffte es irgendwie, sich zwischen die beiden Männer zu drücken. Robert versetzte ihr einen Schlag in die Magengrube.
3 Der Mann
mit dem Glühbirnenkopf
[Grüne Mappe]
Charles Alistair Adam Ferenc-Hollereith jr. lebte von 1946 bis 2003. Er war der Sohn von Luisa Ferenci und Adam Hollereith, die unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus der Schweiz in die USA emigrierten (das i in Luisas Nachnamen wurde bei der Einreise von einem amerikanischen Beamten sozusagen als Zoll einkassiert). Er wurde in Boston geboren. Bis zu seinem Tod durch drei in relativ kurzen Abständen aufeinander folgende Schlaganfälle war er Berater in Sicherheits- und Gesundheitsfragen im Weißen Haus, zuvor hatte er mehrere Jahrzehnte bei der CIA gearbeitet. Das Foto auf seiner Wikipedia-Seite zeigt einen Mann mit seltsam glühbirnenförmigem Gesicht, einem putzigen Haarschopf, der wie ein mittelalterlicher Helmbusch der Mitte seines Kopfes entsprießt, und einem leicht verdutzt wirkenden Ausdruck. Obwohl das Bild, wie die Unterschrift behauptet, 1963 aufgenommen wurde, wirkt es doch älter, als stammte es aus einer anderen Epoche. Dieser Eindruck einer in zeitlich-historischer Sicht leicht verschobenen Existenz war durchaus prägendund bezeichnend für das Leben von Dr. Ferenc-Hollereith.
Von vielen Menschen wird gesagt, sie seien ihrer Zeit voraus gewesen. Das trifft auf Ferenc-Hollereith mit Sicherheit nicht zu. Er lebte weitgehend in der Vergangenheit, war durch und durch ein Mann der Fünfzigerjahre, einer Zeit, die in den USA eine in Stil und Charakter völlig neuartige medizinische Experimentierfreude hervorbrachte, ja, man kann sagen, ein ganz neuer Geist begann damals durch die Psychiatrien und Armeekrankenhäuser zu wehen. Der Geist wehte direkt aus der Vergangenheit in die Gegenwart, im Grunde war es eine Art Wirbelsturm, der die Dinge nicht so sehr in eine bestimmte Richtung weitertrieb, sondern sie um sich selbst kreisen ließ, in immer engeren Bahnen: die in den von den alliierten Streitkräften befreiten Konzentrationslagern entdeckten und dokumentierten Schauplätze systematischer Zerstörung und Ermordung, die später mit Ehrfurcht und Scheu behandelten Nazi-Ärzte, die nach Amerika gebracht wurden und dort im Grunde nur eines sollten, nämlich erzählen, berichten, beschreiben, der rätselhafte Pioniergeist, der in Dunkelheits- und Sinndeprivationsexperimenten aufflammte – ein Schneegestöber von neuen, an den Rändern der Seele reißenden Ideen. Aus ihm tauchte, etwas verspätet, zeitversetzt, Charles Ferenc-Hollereith auf. Seine Dissertation verfasste er über Walter Freeman, und viele werten diese Schrift als einen Versuch der Rehabilitation dieses umstrittenen Mediziners, der als Vater der modernen Eispickel-Lobotomie in die Geschichte eingegangen ist. Kurz nachdem Ferenc-Hollereith bei der CIA angefangen hatte, spezialisierte er sich offenbar darauf (zumindest behaupten das Zone (1994) und Helman (2003), Helman legt sogar einige beweiskräftige Dokumente vor), überkommene medizinische Experimente auf ihren wissenschaftlichen Gehalt, ihre Verwertbarkeit und vielleichtauch ihre Wiederholbarkeit zu überprüfen. Ein Beispiel: In den Vierziger- und Fünfzigerjahren wurden massenhaft Katzen, Hunde und Affen mit LSD gefüttert und dabei beobachtet, wie sie mit der Orientierungslosigkeit, der rasant zunehmenden Panik und der gestörten Motorik zurechtkamen. Kurz darauf wurden diese Experimente mit menschlichen Versuchsobjekten wiederholt, hauptsächlich Soldaten, die sich freiwillig gemeldet hatten.
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