Indigo (German Edition)
vorne an der Tafel auf und ab, blickte hin und wieder in die weit entfernten Gesichter seiner Schüler und sagte, dass der Tod des alten Mannes (im Beispiel war nichts über das Alter des Mannes gestanden) gewissermaßen vorprogrammiert sei: Denn er verrückt sein Bett immer wieder, weil zwei verschiedene Medien, Rutengänger mit ihren Draht-Ypsilons, vielleicht sogar drei, bei ihm waren, und natürlich gibt es da einander widersprechende Messergebnisse, und der alte Mann weiß nicht, welches er für das glaubhaftere halten soll, also sucht er nach einem Kompromiss, denn es gibt einen Bereich, links vorne (er deutete auf die Tafel), dort wo der Schreibtisch steht, der von allen drei Messungen als ungefährlich angezeigt wurde, also denkt sich der alte Mann, sicher ist sicher, und rückt ganze Nachmittage lang sein Bett durch den Raum, zwischendurch bricht er erschöpft auf ihm zusammen und ruht sich aus, und am dritten Tag, hahaha, da bekommt der wasseradersensitive Alte beim Verrücken des Bettes einen Herzinfarkt und bleibt in der Mitte des Zimmers liegen. Und von oben betrachtet, erinnert seine Haltung an einen Kletternden in einem fast vertikalen Berghang. (Der Lehrer zeichnete eine Strichmännchenskizze von dem Toten. Sie sah aus wie eine zertretene Heuschrecke.)
Zugegeben, sie hatten über die Geschichte herzlich gelacht, aber trotzdem waren die Mathematikstunden immer unmöglich gewesen. Viel zu viel Zeit hatte der Lehrer mit seinen komischen Abschweifungen vergeudet, der dann auch noch – ja, genau, Robert erinnerte sich – andauernd über Kopfschmerzen geklagt hatte, obwohl man ihm bestimmt gesagt hatte, wie furchtbar unsensibel das gegenüber den Schülern der Helianau war. Aber gerade deswegen, weil er kein Geheimnis aus seinen häufig auftretenden Kopfschmerzen und Schwindelattacken und Konzentrationsproblemen machte, hatten manche Schüler ihn gern gemocht.
Und derselbe Typ hatte einem Mann bei lebendigem Leib die Haut abgezogen. Wie zum Teufel machte man das überhaupt? Allein das Gebrüll …
Aber er ist doch gar nicht …, sagte Cordulas Stimme in seinem Kopf. Sie war seit gestern nicht mehr zu erreichen. Brauchte wahrscheinlich ein bisschen Zeit, um abzukühlen. Er hatte sich ja bei ihr entschuldigt und alles. Gut, sie war rausgelaufen und hatte gerufen, gratuliere, herzlichen Glückwunsch – so als hätte er es jetzt endlich geschafft, sie zu vergraulen.
Okay, er hatte einen Fehler gemacht.
But we don’t make mistakes. We only have happy accidents.
So wie sein erstes Mal. Es war nichts, woran er sich gern erinnerte. Er war neunzehn, und er bewegte sich – in seinem Kopf – immer noch in der Zone. Ein warmes, sicheres Gefühl war das gewesen, zumindest jetzt, im Rückblick. Er hatte einen Termin mit einer Frau vereinbart, die sechzig Euro die Stunde kostete, Aufpreise würden erst später, währenddessen, diskutiert werden.
Robert wusste, dass er eigentlich an Cordula denken sollte. Aber seine Gedanken wurden in die Vergangenheit gezogen. Der Fahrtwind der Gegenwart war einfach zu stark.
Die Frau hatte ihn an der Tür ihres Apartments begrüßt – so nannte man diese kleinen Räume, an deren Türen Poster mit vergrößerten Coverbildern von Pornovideos hingen. Robert trat in den Raum und versuchte, nicht allzu verschreckt zu wirken. Erhielt der Frau als Erstes das Geld hin. Sie nahm es und verstaute es in einer hölzernen Schublade. Aus irgendeinem Grund war es der Anblick dieser Schublade, der Robert etwas entspannte. Es war ein Ding, das auch in Märchen vorkommen konnte.
Die Frau sprach nur schlecht Deutsch, aber mit einigen deutlichen Gesten gab sie ihm zu verstehen, dass er ihr demonstrieren soll, was er gerne mit ihr machen würde.
– Normal, sagte Robert.
Dann deutete er auf seinen Mund und auf ihren. Sie schüttelte den Kopf.
– Aber ich kann …, sagte sie.
Und machte ihm vor, was sie stattdessen tun konnte: ihm in den Mund spucken. Die Pantomime war sehr überzeugend, Robert verstand sofort. Merkwürdigerweise dachte er sogar einen Augenblick über dieses Angebot nach. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass es ihm gar nicht gefiel. In den Mund spucken. Widerlich. Er winkte ab. Dann deutete er eine gewöhnliche Missionarsstellung an und bewegte sich vor und zurück.
Die Frau griff sich kurz an die Schläfen, schüttelte den Kopf.
So schnell, dachte Robert.
Er sagte nichts.
– Wie alt?, fragte die Frau und deutete auf ihn.
– Neunzehn.
Er
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