Indigo (German Edition)
und sagte:
– Schrecklich, nicht?
Ich nickte.
– Aber so sind die Menschen eben, sagte er, steckte sich eine Gabel mit aufgewickelten Spaghetti in den Mund, kaute. Mmh ... Mh ... Sie sehen ihre Mitmenschen eben als Werkzeuge ... mh ... Manche Werkzeuge stehen erntebereit herum, man muss sie nur rechtzeitig in einen Lieferwagen stopfen und mit ihnen davonfahren. Andere muss man erst anpflanzen, wie zum Beispiel bei ... Sagen wir, Sie brauchen ein kleines ... einen Namen für ein Experiment, dann ist es doch kaum sinnvoll, diesen Namen irgendwo zu lokalisieren, die Tageszeiten auswendig zu lernen, wann er erreichbar ist, das heißt, wann ein kontrollierter Zugriff stattfinden kann und so weiter. Nein. Es wäre viel leichter, wenn Sie einfach eine Frau aus Osteuropa, die ungewollt mit einem Namen schwanger geworden ist, bezahlen, damit Sie ihren Namen haben können. Der Name ist nirgendwo registriert, also wird er auch nicht vermisst, wenn er –
Ich hob einen Finger.
Ferenc hob die Augenbrauen.
– Eine Frage, sagte ich. Was genau erzählen Sie mir da?
Er lachte. Dann sagte er:
– Die Welt ist ein kranker Ort. Es hilft nichts, wenn man sich die Finger in die Ohren steckt und Mimimimi sagt.
– Okay, sagte ich.
Er stützte beide Ellbogen auf die Tischplatte, legte seinKinn auf die Fäuste und blickte mich an. Drei, vielleicht vier Sekunden lang.
– Sie sind nicht naiv, sagte er in einem Ton, als wollte er Schach! ankündigen. Sie wissen genau, was ich meine. Für die meisten Menschen ist die Welt ein ... un hypermarché du bricolage. Baumarkt. Regale, Regale, überall Regale, und jedes einzelne voller Werkzeug, das man benützen kann, bis es kaputt geht. Denken Sie nur an die Tiere. Sobald wir ein neues Tier entdecken, ist das Erste, was uns interessiert, die Frage, ob wir es essen können. Und bei uns ist es ganz gleich. Wenn ein Kind geboren wird, fangen die Leute an nachzudenken: Wozu könnte es gut sein? Wozu könnte es mir dienen?
Nach dem Essen, während dem ich Herrn Ferenc vor allem von Oliver Baumherr erzählen musste, wie es ihm ging, wie er seine Kollegen behandelte, gingen wir in seine Wohnung. Er führte mich über den Kunstberg hinauf zu einem Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich ein kleines Geschäft mit abstrakten Vogelskulpturen und Hüten im Schaufenster befand. Kleine Skulpturen und Hüte, nur diese beiden Dinge wurden dort verkauft, zu extrem hohen Preisen.Die Vogelskulpturen wirkten archaisch und hätten neben vielarmigen Götterstatuetten und erotischen Schnitzereien auf Dr. Freuds Schreibtisch in der Berggasse in Wien stehen können, während die Hüte herrenlos durch seine Träume schwebten und alles Mögliche bedeuteten, Zukunftsängste oder geometrisch beeindruckende Familienkonstellationen oder was auch immer, es gab ja keine Rettung aus der Deuterei, genauso wenig wie einen Notausgang aus der Geschichte.
Die Wohnung von Herrn Ferenc lag im zweiten Stock. Die Luft dort war erstaunlich frisch, als wären die Fenster in den letzten zwanzig Jahren niemals geschlossen gewesen. Überall standen kleinere Statuen im Stil nordamerikanischer Ureinwohner herum. Masken hingen an den Wänden oder lagen übereinandergestapelt auf dem Boden. Ronald Reagan war dabei, Michael Jackson und Saddam Hussein und noch eine Reihe weiterer klassischer Bankräubermasken. Ein paar bunte Partyhüte standen, ineinandergesteckt wie Plastikbecher im Supermarkt, als leicht eingeknickte Zikkurat auf einer Hobelbank.
Auf einem Schreibtisch lehnte ein Kalender mit Elis-Puppenbildern. Jede Woche ein neues Bild. Im Feld des heutigen Tages hatte jemand in großen Blockbuchstaben geschrieben:
ARRIVÉ!!!
C. S. – 9:00.
C. S. – das musste ich sein, Clemens Setz. Seltsam, dachte ich, um neun Uhr früh war ich gerade auf dem Weg nach Frankfurt. Ich war erst gegen Mittag in Brüssel angekommen. Und die drei Rufzeichen ...
An der Wand neben dem Schreibtisch hingen ein paar sehr eindrucksvolle Schwarzweißfotografien, die vermutlich mit extrem langer Belichtung gemacht worden waren. Die Ansichteiner Stadt, ein Fußballstadion, ein Klassenzimmer. Eines der Bilder war signiert mit einem breiten V.
– Schön, nicht?
– Die Bilder? Interessant, ja.
– Das ist eine spezielle Technik, die ... ja, das wäre vermutlich zu kompliziert, das jetzt zu erklären.
Eine Pause entstand.
– Oliver Baumherr hat mir Unterlagen über Magda T. gezeigt.
Ferenc lachte. Er hatte den
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