Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
Vom Netzwerk:
Wenn die anderen einen Meter weitergehen, geht sie auch einen Meter weiter, aber mehr tut sie nicht, sie reagiert überhaupt nicht auf die anderen Frauen in der Schlange vor der Klappe. In der Klappen-Schlange, könnte man sagen, hahaha.
    Er lachte tatsächlich.
    In dieser kurzen Verschnaufpause fiel mir ein, auf meine Gesichtsmuskulatur zu achten. Schnell zog ich die Marionettenfäden, die mir entglitten waren, wieder straff, und mein Mund schloss sich.
    – Und die Frau ignoriert alle, die sie ansprechen, sie dreht den Kopf weg und antwortet nicht, reagiert nicht, die anderen schauen sie an, ob sie vielleicht schwanger ist, denn manche kommen auch zur Babyklappe in Brooklyn, um quasi rittlings darauf zu gebären, kommt immer wieder mal vor, dass solche Idioten sich in die Schlange mischen.
    – Naaaa, stopp, stopp, stopp!, rief ich. Das ist doch – 
    – Ist gleich zu Ende die Geschichte. Jedenfalls, die Frau wird in der Schlange langsam nach vorne geschoben, die anderen folgen ihr, und sie steht vor der Babyklappe, und jetzt sind wirklich alle sehr, sehr neugierig, was sie da hineinlegen wird. Wird es ein Eimer mit einem Gesicht drauf sein, so wie ihn diese wahnsinnigen Frauen aus den Vororten immer mit sich herumschleppen, weiß Gott warum, oder wird es ein Geschenk sein, denn auch das kommt hin und wieder vor, oder Geld in einem Umschlag oder Babybekleidung in diesen depressiven Farben, die Babybekleidung aus irgendeinem Grund immer haben muss, Sie wissen schon, diese depressiven Herbstfarben, dieses Dunkelrot und dieses Blau. Oder was wird es sein? Das fragen sich die Frauen in der Schlange. Und dann ist die Frau ohne Kind endlich an der Reihe, und sie tritt vor die Klappe, die automatische Öffnung wird aktiviert, der Bewegungsmelder hat sie erkannt, sie ist also keine Einbildung, auch keine Engelserscheinung, die unter die armen verlorenen Seelen getreten ist, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut. Und was glauben Sie, legt sie in die Babyklappe?
    – Was?
    Herr Ferenc trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. Dabei lachte er, wie über eine Kinderei.
    – Wir könnten in einen neuen Club gehen, ins Getuige X-1. Hat erst vor ein paar Monaten aufgemacht. Im Grunde ist noch nicht viel los dort, aber ...
    – Nein danke, sagte ich. Ich werde lieber ins Hotel ... Aber was war in der Babyklappe?
    Herr Ferenc lachte:
    – So gefallen Sie mir besser, Herr Setz. Sie sollten Ihr Gesicht jetzt sehen. Offen für alles.

8  Haut
    Das Alprazolam machte ihn immer angenehm benommen, der Kopf eine Abrissbirne, die hin und her schwang, ständig auf der Suche nach etwas, gegen das sie donnern konnte. Er hatte eine halbe Tablette geschluckt, um die enorme Aufregung in den Griff zu bekommen. Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er über die Jahre so viele von Cordulas Medikamenten gestohlen und bei sich im Zimmer versteckt hatte. Eine richtige kleine Apotheke. Dabei hatte sie sich immer darauf verlassen, dass genau so viele Tabletten da waren, wie sie in Erinnerung hatte. Sie war gut eingestellt. Eigentlich das Bewundernswerteste, was es gibt, dachte Robert zerstreut und beobachtete von seinem wackeligen Kopf-Raumschiff aus, wie er durch die Straßen schwebte. Die Gelassenheit, mit der man die schlechte Musik in einem erträgt. Man bestimmt, wohin es geht, also erträgt man auch geduldig den Mist aus den Neunzigern, der auf der Fahrt dorthin gespielt wird.
    Stop the rock … can’t stop the rock …
    Als sie in die Gegend kamen, wo Clemens Setz wohnte, sah er durchs Taxifenster drei Flugzeuge am sich rötenden Abendhorizont, die sehr kurze Kondensstreifen hinter sich herzogen. Wie drei Kometen. Das Bild erinnerte ihn an Illustrationen zu Science-Fiction-Geschichten aus den Dreißigerjahren, der heiligen Epoche vor Star Trek: das winzige Raumschiff- und Satellitengewusel im Bildhintergrund, in der Atmosphäre des Planeten, vor dem sich größere Vehikel bewegen, in denen die Hauptfiguren der Erzählung in glänzenden Ganzkörperanzügen sitzen.
    Robert trug sein Dingo-Bait-Hemd und darüber den Mantel. Obwohl es ein warmer Tag war, wurde ihm langsam kalt. Sicher das Beruhigungsmittel. Als er aus dem Taxi stieg, fror er sogar. Er machte den Mantel zu, aber der Reißverschluss blieb auf halber Höhe stecken, wie ein winziger Fahrstuhl. Er zerrte an ihm herum,stolperte und fiel beinahe über einen schlafenden Bettler. In einer Konditorei unweit der Adresse des Lehrers kaufte sich Robert eine

Weitere Kostenlose Bücher