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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Jenga-Stein in der Hand, ohne dass ich mich erinnern konnte, ihm meinen zurückgegeben zu haben. Ich kontrollierte meine Taschen. Sie waren leer.
    – Magda, ja, liebe Magda, sagte Ferenc. Ich war’s, der sie ...
    Er beendete den Satz mit einer Rollgebärde seiner rechten Hand.
    – Wissen Sie ..., Herr Setz, nicht?
    – Ja.
    – Nicht Seitz?
    – Nein.
    – Okay. Herr Setz. Als Sie angerufen haben, da dachte ich, Olivier schickt mir ein Geschenk. Aber das ist nicht so. Sie haben wirklich nicht die geringste ...? Nein, sagen Sie’s: Warum sind Sie hier?
    – Na ja. Ich hab in dem Helianau-Institut gearbeitet.
    – Mhm, nickte Ferenc.
    – Und da ist mir aufgefallen, dass Schüler verschwunden sind. Die wurden weggebracht, und dabei fiel immer wieder der Name ... Ihr Name.
    – Kommt davon, wenn man seinen Namen im Baumarkt kauft, sagte Ferenc.
    – Daraufhin habe ich recherchiert und einen Artikel geschrieben über eine alleinerziehende Mutter in Gillingen, den Artikel habe ich Ihnen sogar mitgebracht, und ichhab die Familie von einem meiner früheren Schüler besucht, und bei denen war alles ganz merkwürdig, dort hatte ich einen Anfall.
    Es dauerte eine Weile, bis Herr Ferenc reagierte. Dann sagte er:
    – Im Ernst?
    – Was?
    – Ach, egal. Jetzt sind Sie ja schon mal hier, nicht? Und ein Freund von Olivier ist ein Freund von mir. Umgekehrt gilt es leider nicht.
    Er lehnte sich gegen die Hobelbank, blickte mich mit einem, wie ich fand, mitleidigen Blick an und begann zu sprechen.
    – Geben Sie den Menschen die Möglichkeit, etwas zu tun, für das sie sich zu sehr schämen, lösen Sie immer eine Lawine aus. 1739 gründete Thomas Coram das Foundling Hospital in London. Das war damals die erste Pflegeeinrichtung für Findelkinder. Vorher gab es nichts. Wenn eine Mutter ihr Kind loswerden wollte, nahm sie es und ... (Herr Ferenc machte es pantomimisch vor). Das Foundling Hospital hatte aber nur 400 Betten, und der Andrang der Mütter, die ihre Kinder abgeben wollten, war riesengroß, also, Sie müssen sich vorstellen: wirklich riesengroß, unglaublich, kaum zu bewältigen. Deshalb mussten alle Mütter an einer Lotterie teilnehmen. Ein Behälter mit Kugeln. Die Mutter greift blind hinein. Zieht sie eine weiße Kugel, ist das Kind angenommen, eine rote Kugel bedeutet Warteliste, eine schwarze Kugel Ablehnung. Auf vielen Dachböden in England hat man, noch weit bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, diese schwarzen Kugeln gefunden, meist eingewickelt in irgendein Stofftuch, damit man sie nicht gleich auf den ersten Blick erkennt. Die alte Schande.
    Pause. Ich sagte nichts.
    – Es gibt so viele Eltern, sagte Herr Ferenc, die sieloswerden wollen, am häufigsten, aus irgendeinem Grund, in Skandinavien. Letztes Jahr waren es elf.
    – Elf Kinder?
    – Viele Eltern schauen sich auch die neuen Besitzer zuerst genau an, das ist, na ja, das ist schrecklich.
    Er löste sich von der Hobelbank und ging durchs Zimmer. Dann hob er eine der großnasigen Masken auf und stellte sie mit einem müden Seufzen neben sein Bett. Die Maske sollte wahrscheinlich ein Flusspferd darstellen. Sie war steingrau und beklebt mit einer Vielzahl glänzender Streifen. An manchen Stellen leuchteten einige Schlag-zeilen der Zeitung, die für die Herstellung des Pappmachés verwendet worden waren, unter der grauen Farbe hervor.
    – Ja, das ist schrecklich, sagte ich.
    – Und es lässt sich auch überhaupt nichts dagegen unternehmen, sagte Herr Ferenc, hob die Maske auf und setzte sie sich auf.
    Er klopfte sie mit seinen Knöcheln ab, als wollte er sie auf schwache Stellen untersuchen. Dann nahm er sie wieder ab, schüttelte den Kopf und hockte sich hin.
    – Es läuft alles über Bekannte und Verwandte, über Familien, murmelte er. Das ist die große Nische, an die nie jemand herankommt. Und wenn eine Familie nach Brasilien oder nach Argentinien auswandern möchte ... gemeinsam, verstehen Sie? Hand in Hand? Dann kann man sie ja auch nicht daran hindern. Ah, putain ...
    Er hatte die Maske umgedreht und etwas in ihr entdeckt. Mit dem kleinen Finger holte er es hervor. Es war ein Rest rötlicher Farbe, wie von Lippenstift. Herr Ferenc befeuchtete seinen Daumen und wischte damit den verbliebenen Fleck von der Innenseite der Maske.
    Das O-Gott-was-zum-Teufel-mache-ich-hier-Gefühl setzte ein.
    Das sei aber noch gar nichts, sagte Herr Ferenc, er habe einmal den Fall einer Mutter bearbeitet, einer Albanerin, die ihre Kinder an einen

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