Indigo (German Edition)
Zuhälter verkauft hat. Der Zuhälter, der über drei Ecken mit ihr verwandt war, nahm die beiden Kinder eines Nachts mit. Eines der beiden Kinder war infolge von Sauerstoffmangel bei der Geburt geistig behindert, konnte nicht sprechen und hatte Schwierigkeiten mit der räumlichen Koordination, und aufgrund dieser Beeinträchtigungen war der Mutter ein besonders hoher Preis für das Kind versprochen worden. Also ließ sie die beiden (vier und sieben Jahre alt) abholen und wartete auf das Geld. Aber es kam nicht, die Mutter wartete wochenlang vergeblich auf die vereinbarte hohe Summe. Also ging sie zur Polizei und zeigte den Zuhälter an. Aber nicht wegen Kindesentführung oder Menschenhandel, nein, sie verklagte ihn, weil er seine Schulden bei ihr nicht bezahlte. Und so erst flog die ganze Sache auf. Und dann, vor Gericht, weinte die Frau und sagte: Ich habe einen Fehler gemacht. Ja, er, Ferenc, habe es mit seinen eigenen, aber was, was – Herr Ferenc wartete, bis ich meine Hände wieder von den Ohren löste.
– Was ist denn los?, fragte er.
– Nichts, sagte ich, das ist nur automatisch ... wenn mich etwas wütend macht.
– Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?
– Ja, jedes Wort.
– Na ja, und dann vor Kurzem, da habe ich von diesem Vorfall gehört, ein ungewöhnliches Vorkommnis in einer dieser langen Warteschlangen vor einer Babyklappe in Brooklyn, da stand eine Frau –
– Wowowow, warten Sie, einen Augenblick!
Ich hatte tatsächlich mit den Händen gefuchtelt. Herr Ferenc blickte mich mit einem amüsierten Ausdruck in den Augen an. Er legte die Maske auf die Hobelbank.
– Was?
– In der Warteschlange vor der Babyklappe?, fragte ich.
– Ja.
– Ist das nicht etwas sehr ...
– Plakativ? Ja, natürlich, total. Jedenfalls, das war vor ein paar Jahren, und da war diese Warteschlange, und man weiß ja, wie das ist, wie am Flughafen, man wartet und wartet, eine Frau hinter der anderen, und manche haben diese kleinen blaugefrorenen Bündel in den Händen und fragen sich, warum geht’s nicht weiter, andere sind mit dem Kinderwagen gekommen, weil sie es zumindest eine Zeitlang versucht haben, Sie verstehen, Anschaffung eines Kinderwagens ekseterah –
Das französisch intonierte et cetera brachte mich in die Realität zurück. Für einen Augenblick war ich der Einladung der Horrorgeschichte gefolgt und hatte mir die Situation vorgestellt.
– Das ist doch nicht wirklich passiert!
– Nicht hier, sagte Herr Ferenc und schüttelte den Kopf. In Brooklyn. Aber ... na ja, jedenfalls stehen da diese Frauen hintereinander, und es ist schon einige Zeit vergangen, und die Nacht ist außerdem kalt, immer im Winter, die meisten Kinder landen in der Klappe ... äh, die meisten Kinder landen im Winter in der Klappe, ah, die deutsche Satzstellung, je schneller ich rede, desto verspreche ich ... desto mehr verspreche – ich – mich, haha, aber das ist noch gar nichts, Sie sollten mein Flämisch hören, das ist absolute Scheiße, obwohl ich’s jeden Tag höre –
– Das ist ein Witz, oder?
– Nein, ich kann kein Flämisch, es ist zum Verrücktwerden. Wo war ich stehengeblieben mit der Geschichte? Es ... ah ja, die Nacht ist ziemlich kalt, eine dieser fiesen Nächte, wenn wirklich alles gefriert, sogar Make-up oder Superkleber oder die Zeiger einer Uhr, und warum geht’s denn da nicht weiter, da vorne, beginnen die Frauen zu fragen, zuerst eine, dann die anderen, in Brooklyn vor ein paarJahren, eine Nacht wie andere Nächte auch, eisig kalt, und dann gibt plötzlich jemand eine Antwort, ja weil die da vorne so lange braucht, die will sich erst noch verabschieden, und darauf die anderen: Ja, das hätte sie sich früher überlegen sollen, ich bin schon zum dritten Mal hier, und nie hab ich mich verabschiedet, das fällt mir gar nicht ein, dass ich mir auch noch Schuldgefühle machen lasse von so einem Bastard, und so weiter, wie das eben so ist in Brooklyn in der Winterzeit. Und da plötzlich fällt eine Frau in der Warteschlange auf, die hat gar kein Baby. Die steht einfach so da, in ihren Winterklamotten, und ist sozusagen kinderlos. Sie wartet, ganz für sich allein, und den anderen wird natürlich schnell klar, dass sie zu niemandem gehört, sie ist keine Begleiterin oder so. Also spricht man sie an, was machen Sie denn in unserer Warteschlange, wieso stehen Sie denn hier, wenn Sie doch gar kein Kind abgeben wollen? Die Frau antwortet nicht, tut so, als wäre sie taub.
Weitere Kostenlose Bücher