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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Badewanne.
    Mein Gott, wie lächerlich war das, er saß hier nutzlos auf seinem Hintern, während diese Ratte ungestraft durch den Hof oder das Treppenhaus rannte und eine unbeschwerte Kindheit erlebte. Vielleicht hatte die Mutter ein wenig mit ihm geschimpft, schon möglich, aber sicher nicht zu viel, da sie genauso dachte wie ihr missratenes Stück Scheiße von Sohn.
    Robert schlug sich mit der Faust auf die Knie.
    Eine Naturkatastrophe, dachte er. Man müsste eine Naturkatastrophe auslösen. Eine Muräne. Oder Moräne? Das eine war so ein Schlangending, das andere … Wie hieß es, Mu oder Mo … Verdammter Gap . Indigo - Delay. Das Beste wäre, sagte sich Robert und spürte mit einer gewissen Befriedigung, wie er mit diesem Gedanken die Grenzmarkierung zum Irrsinn überschritt, das Beste wäre, wenn er sich direkt vor dem Nachbarsjungen erschießen würde. Er besorgt sich eine Pistole oder ein Gewehr, dann geht er in den Hof und stellt sich vor den Kindern auf. Er zielt auf sie und befiehlt allen, außer der dreckigen Ratte, sich augenblicklich zu verziehen. Dann sagt er: Knie nieder, du verdammtes Dreckstück. Und dann setzt er sich den Lauf ans Kinn und zeigt in dem kurzen Augenblick, der ihm noch bleibt, ein wildes, grausames Lachen, der Mund weit offen und die Augen zwei große weiße Kugeln. Und dann drückt er ab, Gehirn, Schießpulverdampf, Kieferknochensplitter und Zähne verteilen sich als rotschwarze Wolke im Hof und regnen hinein in die zukünftige Erinnerungswelt des Kindes, sein ganzes Leben lang wird es an diesen furchtbaren Moment zurückdenken müssen, es wird jahrelang in Therapie sein, wird sich wieder in den Bettnässer verwandeln, der es einmal war, wird in der Schule bei jedem lauteren Geräusch zusammenzucken und einen epileptischen Anfall erleiden, wird dann, nach dem Abbruch der Schule mit vierzehn, keine Lehre zu Ende bringen können, an eine Abendmatura ist gar nicht zu denken, da der inzwischen Achtzehnjährige nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr vor die Tür gehen kann, ohne entsetzliche Panikanfälle zu bekommen. Zu Silvester, wenn die Böller und Raketen knallen, versteckt er sich in der Badewanne mit einer Matratze über sich. Zu einem normalen Familienleben ist er nicht fähig, er verfällt mehr und mehr dem Alkohol, hängt tagsüber in Parks herum und erzählt jedem, der lange genug stillhält, von der glänzenden Zukunft, die ihm einst offenstand, in den baumschattenreichen, windgeschützten Innenhöfen der Siedlung, in der er seine Kindheit verbracht hat, bis er eines Tages einen Fehler begangen hat, einen schweren, schweren Fehler.
    Robert erschrak fürchterlich, als die Tür zum Badezimmer aufging. Um ein Haar wäre er in die Wanne gefallen.
    – Was machst du denn hier?, fragte Cordula. Hast du mich nicht gehört?
    – Bist du schon … Wie, du bist schon zu Hause …
    Robert schaute auf die Uhr.
    – Alles okay mit dir?, fragte Cordula. Soll ich dich in Ruhe lassen?
    – Nein, nein …
    – Sicher?
    – Ja, ich hab nur … Weißt du, dieses Arschloch da unten, dieses freche Kind von der Frau Rabl, der hat gesagt, also das heißt, sie hat vorhin geklingelt und hat mir erzählt, was er gesagt hat, weil sie genauso dumm ist wie ihr Sohn, nämlich – 
    – Schsch.
    Cordula fing seinen Kopf mit ihren Händen ein.
    Robert erstarrte. Kanarienvogelkäfig, über den ein Tuch geworfen wird.
    – Und das hat dich aufgeregt?, sagte sie.
    – Du hast ja nicht gehört, was er über mich gesagt hat.
    – Ach, das ist doch nur ein Kind.
    – Er hat gesagt, da oben wohnt ein sep–
    – Nicht, Robert, sagte Cordula und hockte sich vor ihn hin.
    Auf gleicher Augenhöhe. Er war gezwungen, sie direkt anzublicken.
    – Ich weiß, er ist nur irgendein … Aber …
    – Soll ich dir ein Streichholzhaus bringen, hm? Zum Kaputtmachen? Dann geht’s dir sicher – 
    – Nein, brauch ich nicht. Danke.
    – Sicher?
    – Ja.
    – Weißt du was?, sagte Cordula. Ich hab dir auf dem Heimweg was vom Chinesen mitgebracht. Magst du?
    – Warum kommst du eigentlich so spät?
    – Ich hab noch die Buchhaltung fertig machen müssen. Angelika ist ja nicht da, und auf sie wird natürlich immer Rücksicht genommen und – 
    – Ja, hast du denn auch Buchhaltung studiert?, fragte Robert. Ich meine, das hast du mir gar nicht erzählt. Das ist mir neu. Du hast alles Mögliche, aber einen Doktortitel in Buchhalterei hast du nicht, soweit ich weiß.
    – Warum bist du so

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