Indigo (German Edition)
aggressiv?, fragte sie sanft. Komm, schau dir an, was ich dir mitgebracht habe.
Im Korridor, zwischen Küche und Wohnzimmer, hielt er sie am Arm zurück.
– Ich hab auch was für dich, sagte er. Das Bild, das ich … heute war ich …
– Ach, es ist schon fertig!
Er führte sie an der Hand in die Ecke seines Zimmers, die immer davon zu träumen schien, einmal in den ganzen Raum zu expandieren und ihn in ein echtes Maleratelier zu verwandeln.
Draußen hatte sich das Gewitter verzogen, die Blitze hatten sich in ein fernes Wetterleuchten verwandelt. Ein eitler Horizont, der sich immer und immer wieder fotografieren ließ. Wenn einem Blitzen kein hörbarer Donner folgte, hatte Robert immer das Gefühl, sich räuspern zu müssen.
Cordula hockte vor dem Bild des Affen mit dem Metallding im Hinterkopf und blickte zu ihm empor, als wäre es ein Glasfenster in einer Kirche und sie betrachte die verfärbte, aber vertraute Stadtwelt dahinter.
– Was sagst du?, fragte er.
Cordula drehte sich um und schaute in eine andere Ecke des Zimmers.
– Ist der echt?, fragte sie.
– Was? Ach, du meinst, ob das heute … Ja, das war heute der Termin beim –
– O Gott, sagte sie und schüttelte sich.
– Wie findest du’s?
– Du weißt, dass ich so etwas nicht aushalte, Robert, warum zeigst du mir diese schrecklichen Dinge?
– Also findest du’s schlecht?
– Nein, Robert, ich finde es nicht schlecht, ich finde nur … Warum musst du immer so entsetzliche Bilder malen? Das arme Tier … Ich … Mir wird …
Ihr Gesicht glich ein wenig dem von Frau Rabl. Kubistische Verzweiflung. Dieses Abknicken der Augenbrauen. Als wäre ein Zweig gebrochen.
– Ach komm, sagte Robert.
Und dann:
– Ach komm, das ist doch unglaubwürdig …
Sie ging aus dem Zimmer in Richtung Waschbecken, egal welches, bloß irgendein Waschbecken.
Während sie sich übergab, wanderten ihre Hände in den Nacken, und sie machte eine Bewegung wie jemand, der versucht, unter Wasser tief durchzuatmen. Dann gaben ihre Beine nach, und sie stürzte der Länge nach hin. Ein Anfall, Robert registrierte es und versuchte sich zu erinnern, wie lange ihr letzter Anfall zurücklag. Ein paar Sekunden vergingen, dann strömte die Wirklichkeit zurück in seine Adern, ihm fiel ein, dass er etwas tun musste, er wählte die Nummer des Notarztes, aber bei der zweiten Zifferstand Cordula schon wieder auf, entschuldigte sich leise und ging in ihr Zimmer. Er ging ihr nach.
– Das ist doch jetzt wirklich unglaubwürdig, wiederholte er flehend.
3 Die Meßmer-Studie
Sie erinnere sich noch gut, sagte Frau Häusler-Zinnbret, wie sie zum ersten Mal auf das Phänomen aufmerksam geworden sei. Sie habe in einem Zeitschriftenartikel gelesen, dass in Ungarn nach langem politischen Hin und Her (das schließlich in einem rückwärts in die Geschichte gewandten Her endete) mehrere Heime für I-Kinder wegen eklatanter Missstände geschlossen wurden und einige der arbeitslos gewordenen Pfleger nach Österreich kamen, um sich hier nach Arbeit umzusehen. Sie habe daraufhin nach Berichten über diese Heime gesucht und sei schließlich auf die Reportage eines belgischen Kamerateams gestoßen, das eines dieser Heime besucht hatte. Die Zustände seien unbeschreiblich gewesen. Die Kinder und ihre Betreuer seien gezwungen gewesen, auf engstem Raum nebeneinanderzuleben, hätten an chronischer Erschöpfung, Übelkeit, Migräne gelitten, an Reizbarkeit und großflächigen Ekzemen. Der ungarische Name der Einrichtung, Fertőző gyerekek otthona, hieß übersetzt Heim für ansteckende Kinder . Die Bezeichnung Indigo wurde damals noch nicht verwendet, so Frau Häusler-Zinnbret. Sie komme, wie manch andere sonderbare Nomenklatur, aus Deutschland. Von dort habe sie sich in den letzten Jahren über die ganze Welt verbreitet und den Namen Beringer- bzw. Rochester-Syndrom abgelöst. Im Jahr 2002 sei eine Frau in einer bekannten Talkshow zu Gast gewesen, die sich als Engelseherin und Medium bezeichnete und behauptete, sie könne die Aura von Menschen wahrnehmen. Jahrelang habe sie, so erklärte die Frau, alle Leute nach dem Ampel-System eingeteilt: Solche mit roter Aura waren ungemütliche Exemplare, jähzornig, kleinlich, begriffsstutzig; gelbe Aura bedeutete Geduld, Fürsorglichkeit, Verständnis; grün bedeutete Albernheit, Wildheit, mitunter auch Faulheit. Aber seit einigen Jahren fielen ihr hier und da kleine blaue Wesen auf, Kinder mit indigoblauer Aura. Der Moderator
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