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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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wieder vergessen. Die drei langen Wochen in der Psychiatrie, die Zeit vor den Medikamenten, vor der Therapie und vor den Abenden, als sie sich zusammen einen blutigen Actionfilm oder ein altes Kung-Fu-Drama ansahen, in dem zu allem entschlossene Asiaten die unterschiedlichsten gewaltsamen Todesarten herbeiführten.
    Robert trug ein T-Shirt mit dem Batmansymbol und lag hinter seiner Freundin, die still vor sich hin atmete. Auf dem Nachttisch blinzelte der kleine iBall in seine Richtung. Robert schaute ihn böse an, und der iBall senkte sein Lid.
    Der Geruch war ihm sofort aufgefallen, damals, als er sie zum ersten Mal besucht hatte, drei Tage nach ihrer Einlieferung (bewusstlos, die Schulter wahrscheinlich schlimm geprellt vom Sturz) – der spezielle Psychiatriegeruch. Er musste zugeben: Er fand ihn interessant. Ein Hund hätte den Geruch bestimmt so genau analysieren können wie ein Musikstudent eine Orchesterpartitur: leidenschaftslos gekochtes Krankenhausessen, das Disziplin und eine Reiß-dich-verdammt-nochmal-zusammen-Einstellung vermitteln sollte, dazu der Schweiß angstkranker Menschen, Kunststoffgurte und Gummischläuche zur Ernährung über Magensonde und dann noch die eilig und unbemerkt zu Pulver zerriebenen Tabletten, all das schlug einem entgegen, wenn man das Gebäude betrat.
    Cordula war in einem Zimmer zusammen mit drei anderen Frauen untergebracht.
    Ihr gehe es schon viel besser, sagte sie. Es sei außerdem nicht seine Schuld gewesen (er hatte den Film vorgeschlagen, den sie ansahen, als es passierte, Tetsuo – The Iron Man, ein japanischer Trash-Horrorstreifen in kräftig-kontrastreichem, äußerst attraktivem Schwarzweiß), die Attacke habe sich bereits in den vergangenen Tagen angekündigt. Ein Gefühl der Beklemmung hier, ein aussetzender Herzschlag da und manchmal Atemnot bei bestimmten Szenen im Fernsehen, zum Beispiel während des Films, in dem ständig Menschen aus dem Fenster eines sehr hohen Gebäudes schauen, und unten fahren diese insektenkleinen Autos vorbei, da habe sich alles in ihr zusammengezogen, aber sie habe nichts gesagt, weil sie geglaubt habe, es gehe schon wieder vorbei, aber diesmal sei es eben nicht vorbeigegangen, ja, hahah (ihrem Lachen fehlte, wenn sie Angst hatte, immer die letzte Silbe), er habe sich bestimmt große Sorgen gemacht, wie lange sei sie denn so dagelegen, wehrlos, ach so, ich meine natürlich reglos, ist mein Gesicht eigentlich rot?
    – Nein, alles okay, sagte Robert.
    – Wirklich, weil, ich hab das Gefühl, dass mein Gesicht vielleicht rot ist, das heißt nicht so fleischig rot, sondern so richtig rot, wie mit Lippenstift beschmiert, das muss die Wirkung von dem Ding da sein, ach, ich fühl mich so scheiße, es ist mir so peinlich, ich bin sicher, es war ein guter Film, aber ich hab wieder einmal alles vermasselt, so wie ich schon immer alles vermasselt habe, ich – 
    – Ist schon gut, zwang sich Robert zu sagen. Der Film war gar nicht so gut, finde ich. Künstlerisch, meine ich. Nicht wirklich geglückt.
    – Nicht?, fragte Cordula.
    Es klang so hoffnungsvoll, als läge in einer negativen Beurteilung des japanischen Films der Schlüssel zu ihrer endgültigen Genesung.
    Robert hatte bemerkt, dass am Fußteil der drei belegten Betten im Zimmer kleine Post-its klebten, auf denen Smiley-Gesichter gezeichnet waren. Sein geübtes Auge registrierte sofort, dass die Gesichter von unterschiedlichen Händen stammten. Er kontrollierte, ob auch an Cordulas Bettgestell so ein Zettel klebte.
    – Das ist für … wenn wir … wie wir uns fühlen, sagte Cordula und wand sich, als hätte sie sich heute Morgen eine zu enge Haut angezogen. Ich finde es auch kindisch, aber so müssen sie uns nicht immer fragen, wie es uns geht.
    Aus irgendeinem Grund musste Robert lachen. Er versuchte, sein Gesicht, das sich zu einer affigen Fratze verzerren wollte, unter Kontrolle zu behalten, wandte sich ab, ging zum Fenster und schaute, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, hinaus auf den Parkplatz oder was immer dieses eigenartig schmucklose Areal darstellen sollte. Dahinter der Wald. So blieb er eine Weile stehen und gab leise Kehlgeräusche von sich.
    – Was ist so lustig?, fragte Cordula.
    – Ach, nichts, sagte Robert schnell und drehte sich zu seiner Freundin um. Es ist nur, ich hab da draußen einen Heißluftballon gesehen.
    – Ehrlich? Wo?
    – Nein, jetzt ist er hinter dem Hügel versunken, sagte Robert. Ich hab mir nur vorgestellt, wie die Leute im

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