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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Heißluftballon miteinander reden, das ist alles. Das war witzig.
    Cordula atmete tief durch. Dann fiel ihr eine Haarsträhne ins Gesicht, und sie fing sie mit einem Finger ein und hielt sie sich unter die Nase.
    Sie stand auf und wusch die Haarsträhne am Waschbecken.
    Robert war das Becken bisher nicht aufgefallen. Ihm fehlten alle hervorstehenden Elemente, die es sonst an Waschbecken gab. Das Wasser kam aus einer meeresmuschelartigen, kantenlosen Öffnung, die über einer Lichtschranke hockte. Bestimmt machte diese Technik, der unsichtbare Strahl, der sich wie eine gespenstische Wäscheleine quer durchs Zimmer spannte, Cordula und den anderen Frauen im Psychiatriezimmer nachts Angst. Vielleicht mussten sie die Lichtschranke sogar mit einem Post-it abkleben. Wieder musste Robert über diese Vorstellung lachen. Hör auf!, ermahnte er sich selbst. Hör einfach auf zu denken.
    – Peinlich, murmelte Cordula, während sie ihre Haarsträhne unter dem Wasserstrahl wusch.
    – Was ist peinlich?, fragte er.
    – Ach, nichts, sagte sie. Riecht nur nach Kotze.
    Sie kontrollierte wieder den Geruch der Haarsträhne. Ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie damit einigermaßen zufrieden war. Dann strich sie die Strähne mit den Fingern in ihr Haar und ging zurück zum Bett.
    – Die Lichtschranke, sagte Robert und verschluckte sich fast an dem Wort.
    Hör auf, du Idiot!
    – Was?
    – Ach, ich hab nur gesagt, die … äh … das Ding da.
    – Wo?
    Er deutete darauf.
    – Was ist das?, fragte Cordula, und in ihrer Stimme schwang leichte Unruhe mit.
    – Nur eine Lichtschranke, sagte Robert so beschwichtigend, wie er konnte. Muss dich nicht beunruhigen. Aber die geht quer durchs Zimmer und direkt über deinem Bett in die Wand. Der Lichtstrahl, das Infrarot …
    Cordula blickte hinter sich auf die Wand. Dann schüttelte sie den Kopf.
    – Mir ist komisch von dem Mittel. Warum geben sie mir nicht wieder das Trittico? Das hab ich damals viel besser vertragen. Aber es wird gar nicht mehr hergestellt, heißt es. Warum? Wie kann ein Mittel, das einem hilft, auf einmal vom Markt genommen werden. Das ist genau dasselbe wie mit den Lebensmitteln, die einem gut schmecken. Man kann absolut sicher sein, dass sie nach einem halben Jahr aus den Regalen des Supermarkts verschwinden. Immer dasselbe …
    Sie schüttelte noch heftiger den Kopf, und dann kamen die Tränen. Robert überlegte, ob er, wie bei einem Herzstillstand in Arzt-Serien, auf den Notfallknopf drücken sollte, damit ein hysterisches Team in weißen Mänteln ins Zimmer gelaufen käme. Elektroschock. Eins, zwei, drei – clear!
    Aber Cordula weinte nur.
    – Ich möchte echt nicht mit dir tauschen, sagte er zu ihr.
    Sie starrte ihn entsetzt an. Weinendes Frauengesicht.
    – Warum sagst du so etwas?
    – Na ja, ich würde eben nicht mit dir tauschen wollen. Ich stell mir das sehr schlimm vor, das frühe Aufstehen und … dann noch diese Betten und das Waschbecken, das …
    Er verstummte.
    – Mit dir stimmt was nicht, Robert. Wie kannst du das zu mir sagen? In dieser Situation!
    Wenig später spürte er es. Vielleicht eine Folge des kleinen Schuldgefühls, das Cordulas letzter Satz in ihn gepflanzt hatte. Sorge. Er saß zwar schon in der dunkelgoldenen Straßenbahn, aber wollte am liebsten wieder umkehren und bei Cordula bleiben.
    Das war neu.
    Okay, er musste durchatmen und sich klarmachen, was das sollte. Vielleicht hatte er auf dem Psychiatriegelände chemischen Staub eingeatmet, der jetzt mit seinem Gehirn spielte, Knöpfe drückte, Wasserleitungen auf- und zudrehte, so wie am Hinterkopf von Laboraffen … Der Gedanke an diese Affen war wohltuend, er wurde ruhiger.
    Im Grunde war es nur ein Gefühl in der Brust, dachte er, nichts sonst. Die Gedanken bekamen eine Fliehkraft, und man fühlte sich wie an einem Gummiband, das sich schmerzhaft dehnte. Die Fingerspitzen waren davon nicht betroffen, sie konnten sich vollkommen frei bewegen, ebenso die Zehen. Er ließ sie ein wenig wackeln. Nein, alles normal. Nur in seiner Kehle oder knapp darunter, in der Brust, hockte dieses Ding. Wenn er sich streckte, war es besonders unangenehm, da sagte ihm etwas, er müsse sich sofort wieder schlaff zusammenfallen lassen.
    Ich gehe doch nur Kleider holen, sagte sich Robert.
    Und gleich darauf fragte er sich, was zum Teufel mit ihm los war.
    Ich gehe doch nur Kleider holen? Wem erzählte er das, verdammt nochmal? Ich verliere den Verstand. Ich bin eine ausgebrannte

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