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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Cordula.
    Robert unterbrach sie:
    – Weißt du was? Den haben sie rausgeworfen, weil er ständig betrunken in den Unterricht gekommen ist. Man hat es ihm überhaupt nicht angemerkt, aber hinterher hat das durchaus Sinn ergeben, er war immer sehr nervös, ist nie beim Thema geblieben, hat oft nur herumgequatscht, stundenlang …
    – Und jetzt ist er anscheinend freigesprochen worden, sagte Cordula.
    – Er hat einem Tierquäler die verdammte Haut abgezogen?!
    – Nein, eben nicht, er hat – 
    – Fuck!
    – Er ist heute freigesprochen worden.
    – Scheiße, der war mal bei uns zu Hause auf Besuch!, sagte Robert. Das war kurz nach … Aber weißt du was? Das war total schräg, ich meine, sein Verhalten. Er war total hinüber, ich meine, vollkommen weggetreten. Meine Eltern haben ihn eingeladen, weil er … ach, was weiß ich, der war so ein komisches Viech …
    Robert war in eine unangenehme Traube von Erinnerungen gefallen. Quallennest.
    – Er war bei euch in Raaba?
    – Meine Mutter hat zuerst Angst gehabt, dass er vollkommen betrunken bei uns aufkreuzen wird. Und du weißt, wie allergisch sie auf so was reagiert.
    Cordula nickte:
    – Ach du liebe Zeit, ja. Silvester.
    – Seit 2007 Reportagen, murmelte Robert, der die biografischen Angaben des Lehrers in einem Kästchen vergrößert hatte und sie Zeile für Zeile ablas. National Geographic. Was zum Teufel ist das?
    Cordulas Gesicht sagte ihm, dass er wieder mal gegen seinen Gapgerannt war. Allgemeinwissen. Dingo-Delay.
    – Die Haut, sagte er. Die verdammte Haut abgezogen! Das ist vielleicht ein kranker Scheiß!
    – Na ja, hier steht zumindest …, begann Cordula noch einmal von vorn.
    Aber dann gab sie es auf.
    Robert las weiter.
    Die Zeilen des Interviews waren kaum mehr als Leitersprossen, an denen er sich mit den Augen festhalten konnte, während seinGehirn seine eigenen Wege ging. Er sah den Tag im Herbst 2006 wieder vor sich, die erzwungene Höflichkeit seiner Eltern, die in beschleunigter Konversation zugebrachten sechs Minuten (damals noch: gesegnete 360 Sekunden).
    Er erinnerte sich an das Gespräch und wie sinnlos es sich angefühlt hatte, den Besucher mit Herr Professor anzureden. Er war es ja nicht mehr. Rausgeworfen, betrunken im Dienst. Und dann der Scheiß, den er geredet hatte! Und jetzt das! Ein brutaler Mörder, der freigesprochen wurde. Jesus, Maria und Josef.
    Hunde, Hunde – Roberts Augen weiteten sich. Er sah die Szene wieder vor sich. In seinem Zimmer, im Haus in Raaba. Die Vorhänge zugezogen. Und der irre Lehrer hielt einen seiner unzusammenhängenden Monologe über was weiß ich was:
    Ich meine, es gibt doch viele, die nicht rausgehen können, und von denen bist du noch einer der Glücklichsten, Robert. Die anderen haben dich schlecht behandelt. Aber du kannst gehen, wohin du willst. Ins Ausland. Oder auf die Bühne. Du könntest Artist werden, Künstler. 1999 hat ein Schwertschlucker in Bonn versucht, einen Regenschirm zu schlucken. Er hat aus Versehen den Öffnungsknopf betätigt und ist gestorben. Wenige Jahre später hat ein Kanadier den Stunt wiederholt und ist ebenfalls gestorben. Und ein anderer Schwertschlucker hat sich nach der Vorstellung vor der klatschenden Menge verbeugt und erlitt dabei (Robert konnte sich immer noch an den eigenartigen Wechsel ins Präteritum erinnern, wahrscheinlich der Punkt, als der vorher auswendiggelernte Text vom Mathelehrer Besitz ergriff) schwere innere Verletzungen. Ein anderer ging ein paar Schritte und fiel, mit dem Schwert in der Kehle, von der Bühne.
    Okay, Robert hatte darüber lachen müssen. Es war witzig. Aber warum dieser Freak überhaupt darauf gekommen war, keine Ahnung.
    Aber Sie sagen dann einfach, wann Sie kurz rausgehen müssen, hatte er gesagt.
    Der Wink mit dem Zaunpfahl. Professor Setz verstand ihn nicht.
    Was ist denn das?, fragte er und deutete auf ein kleines Poster, das in Roberts Zimmer direkt über dem Bett hing.
    Das?
    Ja.
    Ein Weltraumhund.
    Das Gesicht des Professors verfinsterte sich.
    Robert stand vom Bett auf.
    Direkt im Satelliten aufgenommen. Belka. Der Hund war damals total weit oben, fast in der Exosphäre und … na ja, und da haben sie das Bild gemacht, glaube ich …
    Der Mathelehrer machte einen Schritt zurück und ging wortlos aus dem Zimmer. Hey, dachte Robert, das waren keine sechs Minuten. Schwuchtel. Weichei. Er setzte sich die Kopfhörer auf und hörte in voller Lautstärke Whitehouse , das Album Great White Death, ein

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