Indigo (German Edition)
beherrschen, um nicht auch zu lachen. Sein Zwerchfell krampfte sich zusammen, und er musste dringend auf die Toilette. Jedes Mal dasselbe, verdammt. Die schmerzhafte Erinnerung an jenen Tag im Klassenzimmer kam zurück. Der alte Biologielehrer, Professor Ulrich, hatte ihn angestarrt und war dann näher gekommen, und an seinem Gesicht hatte man gesehen, dass er innerlichhatte er zum Lehrer gesagt. Ich hab eine schwache Blase, alles okay, das passiert mir manchmal.Die Blicke der mehrere Meter weit entfernt sitzenden Mitschüler. Wie stecken gebliebene Fahrstühle. zählte. Der Zonencountdown. Das Gelächter war Robert im Hals stecken geblieben. Ist schon okay,
Robert nahm einen Schluck von seinem Bier – und spuckte alles über sein eigenes Hemd. Er entschuldigte sich, stand schnell auf und ging nach draußen.
– Hey, Robert, sagte Willi, ist schon okay, du musst nicht –
Nach einiger Zeit kam Cordula zu ihm ins Zimmer. Sie näherte sich vorsichtig von hinten. Sie räusperte sich, damit er sich nicht erschreckte, dann fragte sie ganz beiläufig, als ginge es um ein Zeitungsabonnement:
– Nimmst du eigentlich immer noch dein Sviluppal?
– Sviluppal, sagte Robert ruhig.
Er drückte den Polster gegen die Wand, wie man ein gerahmtes Gemälde hält, um zu sehen, ob es passen wird. Dann boxte er dagegen.
– Ulipol, Trimco, Sviluppal. Die Namen von Medikamenten klingen immer wie aus Fantasyromanen, murmelte er und boxte noch einmal gegen den Polster.
Cordula machte einen Schritt zurück. Robert spürte es, obwohl er sie nicht anschaute – das erste Anzeichen dafür, dass er tatsächlich wieder anfangen musste, den Scheiß zu schlucken. Warnstufe eins.
– Möchtest du … dass ich dir ein frisches Hemd bringe?
Robert blickte an sich herunter.
– Es ist nicht, was du denkst, sagte er.
– Klar, okay, sagte Cordula und drehte sich etwas zur Seite.
– Hör auf, sagte Robert.
– Womit?
– Hör auf, vor mir Angst zu haben. Das macht mich total nervös.
Er hörte ein klatschendes Geräusch und wandte sich um.
– Ich hab nur eine Mücke auf meinem Arm zerquetscht, sagte Cordula und hielt ihren Arm hoch. Da.
– Ist ja schon gut, sagte Robert. Du musst mir nicht …
Dann wurde ihm klar, was für ein Bild er abgab. Während Gäste im Nebenzimmer saßen, stand er in seinem Schlafzimmer und hielt seinen Wutpolster in der Hand. Seinen Wutpolster. Wie ein Baby. Er überlegte sich, ob er sich ganz nackt ausziehen sollte, einfach um den Sender zu wechseln, aber dann entschied er sich dagegen. Cordula ging aus dem Zimmer und brachte ihm ein neues Hemd, das frisch vom Wäscheständer kam. Der Geruch war beinahe zu viel für Robert. Mit geschlossenen Augen zog er sich an und legte sich dann aufs Bett.
Als sie sich wenig später zu ihm setzte, sagte er:
– Gillingen. Da gibt’s eine weltberühmte Seilbahn, hast du das gewusst?
Cordula zeigte ein freundliches Lächeln, das ihm zugleich keck und unterwürfig vorkam. Er sah sie stumm und ernst an, bis sie sagte:
– Wann fährst du denn hin?
Er drehte sich zur Wand.
– Du, ich hab da was für dich, schau mal.
Robert gab ein Grunzen von sich und legte dann den Polster auf sein Gesicht.
– Clemens Jo… was heißt das? Jodokus …
Sie tippte die Zeitung an. Das Bild wurde schärfer.
– Clemens Johann Setz? Kennst du den?
Der Polster fiel auf den Boden, als Robert sich aufsetzte.
– Was?
– Sagt dir der Name was?
– Das war mein Mathelehrer. Wieso?
– Da, schau.
– Ist er tot?
– Nein, er ist hier … ach, schau selbst.
Sie gab Robert die Zeitung. Er vergrößerte das Bild mit Daumen und Zeigefinger. Die Zeitung zirpte. Ein lachendes Gesicht erschien, bebrillt, fettiges Haar. Sah genauso aus wie damals. Nur ein bisschen runder. Die Augen eine Spur eulenhafter. Und die Augenbrauen immer noch dabei, langsam zusammenzuwachsen.
– Scheiße, sagte Robert, als er den Text überflog.
Freispruch im Prozess um den gewaltsamen Tod eines Mannes aus Rumänien. Hielt jahrelang seine Hunde in einem Verlies. Schwere Misshandlung. Tod durch langsames Abziehen der Haut. Hauptverdächtiger Setz seit heute auf freiem Fuß. Die Verwandten des Opfers, ein kleines Bild. Traurig dastehende Menschen. In den letzten Jahren vor allem Science-Fiction-Romane, Abkehr von der Belletristik. Heute als freier Schriftsteller in der Nähe von –
– In dem Artikel steht, dass er bei euch an der Schule gearbeitet hat, begann
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