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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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ehrlich zu sein – 
    – Tsss, machte er.
    – Was haben deine Eltern gesagt?, fragte ich.
    Er lachte.
    – Okay, sagte ich. Dann frage ich dich etwas anderes. Relokationen. Wie oft passieren die eigentlich?
    Roberts Augen weiteten sich, er blickte sich um.
    – Ich hab keine Ahnung, sagte er.
    – Warum haben sie dich geschlagen?
    – Sie haben mich nicht geschlagen.
    – Okay, aber warum haben sie dich …
    – Weiß ich nicht, okay?
    – Schon gut, Robert, du musst nicht laut werden.
    – ’tschuldigung.
    Er verschränkte die Arme und blickte zur Seite.
    – Ah, da seid ihr!, sagte Dr. Rudolph. Ich musste nur ein Telefongespräch beenden. Jetzt geht es. Danke, Herr Setz, ich übernehme von hier an.
    – Aber –, sagte ich.
    – Robert, bedanke dich beim Herrn Magister Setz, dass er dir geholfen hat.
    – Danke, sagte Robert, ohne mich anzusehen.
    – Keine Ursache. Aber ich – 
    – Kommen Sie einen Augenblick, sagte Dr. Rudolph zu mir und ging mit mir einige Schritte durchs Foyer.
    – Das sind nur Abhärtungsspiele, sagte er. Im Grunde harmloses Zeug. Aber es war schon richtig, dass Sie dazwischengegangen sind. Diesmal war es noch eine milde Form. Wissen Sie, das veränderte Proximitätsverständnis der Schüler ist auch …
    – Und da ist jedes Mal Alkohol mit im Spiel?, fragte ich.
    – Herr Setz, sagte Dr. Rudolph und fasste mich an der Schulter. Es ist eben eine inhomogene Klasse, auch was das Alter betrifft. Da passieren solche Sachen.
    – Das Problem ist, dass sie merken, dass sein Zonen… Proximitätsverständnis; dass es abnimmt.
    – Edison hat Hunderte Versuche gebraucht, um seine Glühbirnerichtig hinzubekommen. Was glauben Sie, wie oft sie ihm schon nach wenigen Minuten durchgebrannt ist. Das Equilibrium war noch nicht gefunden.
    – Ja, sagte ich, aber – 
    – Und die Natur braucht eben auch ihre Zeit, damit müssen Sie sich abfinden. Wir können das natürlich bedauern, das heißt, diese individuelle Entwicklung, aber insgesamt ist das Bild doch ein positives, da es sich bei einigen damit geborenen Individuen doch hält. Bis ins hohe Alter.
    Dr. Rudolph stand vor mir, und etwas spiegelte sich in seiner Brille, das aussah wie das Gespenst eines Wasserstrahls, aber ich wollte mich nicht umdrehen, um nachzusehen, und außerdem redete er schon weiter:
    – Sie verstehen nicht, worauf es ankommt, Herr Setz. Ich meine, Sie sind ein begabter Tutor in Ihrem Fach. Und die Schüler mögen Sie, soweit ich das beurteilen kann.
    Dann ging Dr. Rudolph mit dem Schüler Tätzel davon.
    Und ich ging ihnen nach.
    Nicht auffällig. Eher wie ein Schauspieler in einem Detektivfilm: Man konzentriert sich einfach auf die Kamera, die einem von hinten folgt, und denkt nicht an die, denen man auf der Spur bleiben soll.
    Ich stellte mich vor dem Direktorzimmer auf. Was sollte mir schon passieren, wenn sie mich hier entdeckten? Ich hatte Kopfschmerzen, aber merkwürdigerweise machten sie mich unternehmungslustig. Die Mittagsstunde hatte seit dreizehn Minuten begonnen, wie mir ein Blick auf meine Armbanduhr versicherte. Ich schüttelte den Kopf und lachte, als hätte die Uhr einen Scherz gemacht.
    Ich stand da und versuchte, meinen Körper ganz stillzuhalten. Ein wenig hatte ich das Gefühl, betrunken zu sein. Sektbläschen stiegen in meinem Verstand auf und machten alles beschwingt, tänzerisch …
    Frische Luft strömte durch ein offenstehendes Fenster. Ichspürte sie angenehm an meinen Füßen. Ich hatte heute Morgen vergessen, Socken anzuziehen.
    – Ferenc, wie geht’s dir?, hörte ich Dr. Rudolph plötzlich fragen.
    Ich hielt den Atem an. Die Tür zum Büro stand einen Spalt weit offen.
    – Ja … ja … Aber biensüüüür, sagte der Direktor.
    Er telefonierte offenbar.
    Wo war Robert? Saß er neben ihm, während der Direktor in den Hörer brüllte?
    – Ja, das Problem … Wir hatten gerade einen Zwischenfall … Ja … Ich weiß, dass ihr an ihn gedacht habt, aber er nimmt ab … seine Zone … sein Prox… ja … ja … Ach, Ferenc, du alte Sau! Warte, ich werde nur … Du kannst dich darauf verlassen, du kriegst dein Happy End … Augenblick …
    Ich erstarrte, die Schritte kamen näher, hoffentlich blickte er nicht zur Tür hinaus. Also riss ich mich los und ging ein paar Schritte Richtung Gangfenster. Da sah ich Robert Tätzel, wie er draußen über den Hof ging, gebeugt. Er ließ den Kopf hängen. In der Hand hielt er einen kegelförmigen Partyhut.

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